$ 22. Die korporative Selbstverwaltung. 135
in jenem an entscheidenden Punkten die unentbehrliche Voraussetzung
seiner eigenen Zweckerfüllung finde.
Unter dieser Grundanschauung hat sich eine unabsehbare Fülle
der verschiedenartigsten Gestaltungen [auf dem Gebiet des Vereins-
wesens entfaltet. Allein trotz dieses Reichtumes und trotz dieser
Vielgestaltickeit ergeben sich im Verhältnis zum Staat grolse Gliede-
rungen, die sich in sich charakteristisch zusammenfassen und von-
einander scheiden. Sie werden wesentlich nicht gebildet durch die
formalen Unterschiede des korporativen Verbandes und der Gesellschaft,
wenn sich dieselben auch bei den Gliederungen mitwirkend geltend
machen. Vielmehr das Verhältnis, in dem die Zwecke der Vereine,
als ihre Bildungsprineipien, zu den verfassungsmälsig anerkannten
Aufgaben des Staates, als seinem Bildungsprincip, stehen, ist es, welches
das Vereinswesen in drei grofse Gruppen zerlegt. Sie werden be-
zeichnet durch das Gebiet der korporativen Selbstver-
waltung, durch das freie Vereinswesen und durch die kirch-
lichen Verbände.
Zu jedem Gebiete steht der Staat in einem charakteristisch
verschiedenen Verhältnis. Nur durch die Festsetzung dieses Verhält-
nisses in seiner dreifachen Gliederung ergiebt sich die Gesamtstellung
des Staates gegenüber dem Vereinswesen.
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Die korporative Selbstverwaltung!.
I. Das Wesen der korporativen Selbstverwaltung beruht in oberster
Anschauung auf der rechtlichen Gestaltung zweier Thatbestände.
Die Subjekte der Selbstverwaltung sind vom Staate unter-
schiedene korporative Verbände, deren innere Verfassung eine selb-
ständige Organisation in der Gliederung eigener Organe und eigener
Mitslieder aufweist. Hierdurch unterscheidet sich der Selbstverwaltungs-
körper von jeder Gestalt der decentralisierten Staatsverwaltung, wie
insbesondere von den Provinzen, Bezirken, Kreisen, die immer nur
die räumlich begrenzte Kompetenz der Organe des Staates gegenüber
seinen Unterthanen bedeuten.
Die Gemeinzwecke, welche dem Wirkungskreis der Selbst-
verwaltungskörper angehören, fallen zugleich in den Bereich der
1 Rosin, Suveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung (Hirth, Annalen
1883), S. 265fl. Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft. 1886.
Gluth, Die Lehre von der Selbstverwaltung. 1887.