Einleitung‘.
81.
Zweimal im Laufe dieses Jahrhunderts hat das Staatswesen des
deutschen Volkes eine Umwälzung an Haupt und Gliedern erfahren.
Am 1. August 1806 liefs der Kaiser von Frankreich dem Reichs-
tage in Regensburg erklären, dafs er fernerhin nicht mehr das Dasein
der deutschen Verfassung, sondern nur noch die volle und unbedingste
Suveränetät der deutschen Landesherrn anerkenne. An demselben
Tage sagte sich eine Anzahl südwestdeutscher Fürsten „von ihrer
bisherigen Verbindung mit dem deutschen Reichskörper“ urkundlich
los. Am 6. August legte der deutsche Kaiser „die bis jetzt getragene
Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung“ nieder.
Damit brach das „Römische Reich deutscher Nation“ zusammen
— ein Staatswesen, dessen Einreihung in eine der typischen Staaten-
verbindungen, welche die moderne Staatsentwicklung erzeugt hat, ein
vollkommen eitles Bemühen ist. Denn was zu Grunde ging, war nichts
anderes als ein Einheitsstaat, der endgültig seit der Reformation
einem unaufhaltsamen Zersetzungsprozesse verfallen war. Zersetzt
aber wurde das Reich durch das feudale System, das staatliche Be-
fugnisse in der Hand der Beliehenen als wohlerworbene, nach ihrer
Zuständigkeit und nach der Verfügungsgewalt darüber als dem Privat-
rechte analoge Rechte behandelte. Zersetzt wurde es Hand in Hand
damit durch eine Rechtsstellung der repräsentativen Einrichtungen,
welche, als Korporationen der Privilegierten, nur dem Berufe dienten,
die Gerechtsame der „Stände“ gegen den Staat zu vertreten und,
fortschreitend bis zu einer umfassenden Mitregierung mit und neben
dem Staatsoberhaupte, zu vermehren.
Die Zerstörung des Reiches liefs die neuen Suveräne ohne
ı H. Schulze, Einleitung in das Deutsche Staatsrecht 1865. O. Mejer
Einleitung in das Deutsche Staatsrecht, 2. Aufl. 1884.
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