$ 22. Die korporative Selbstverwaltung. 139
ihnen zuerkannten Kompetenzen zu überwachen und jede Überschreitung
derselben hintanzuhalten. Mag man auch diese negative Kontrolle
zugleich mit dem Worte „Aufsicht“ bezeichnen, so bildet sie für
die korporative Selbstverwaltung doch nur den nicht charakteristi-
schen Teil derselben.
Allerdings ist es unbestreitbar und unbestritten, dals beide Be-
fugnisse — die gesetzgebende wie die kompetenzwahrende — dem
Staate auch gegenüber den Selbstverwaltungskörpern zustehen. Mit
vollem Recht falst man ihre Geltung in dem Satze zusammen: „Die
Selbstverwaltung kann sich nach Inhalt und Form nur in den Gren-
zen der Gesetzgebung des Staates bewegen“. Und die scharfe Be-
tonung dieses Satzes ist gegenüber den Selbstverwaltungskörpern ge-
fordert. Denn sie sind zum guten Teil in der historischen Entwicke-
lung die älteren und naturwüchsigeren Erscheinungen, über denen sich
der Staat erst zusammenschlieist, und ihre einseitige Verstärkung birgt
die Gefahr der staatlichen Zersetzung.
Aber mit dem allen sind jene beiden Befugnisse des Staates durch-
aus allgemeiner Natur. Sie sind vollkommen identisch mit dem
ersten und obersten Beruf des Staates, die Rechtsordnung zu begrün-
den und aufrechtzuerhalten, wie gegenüber allen in seinen Macht-
bereich fallenden socialen Elementen, mögen dieselben Individuen oder
gesellschaftliche Organisationsformen irgendwelcher Art sein, so auch
anwendungsweise gegenüber den Selbstverwaltungskörpern. Anerken-
nung selbständiger Rechtssphären, Abgrenzung derselben anderen Rechts-
mächten gegenüber, Aufrechterhaltung dieser Kompetenzen und ihrer
Grenzen gegen Überschreitung oder Einbruch — das ist die Grund-
funktion jeder Rechtsordnung, die zu seinem Teile zu schaffen und
die überall in ihrer Geltung rechtsprechend, zwingend, strafend zu
verbürgen, Recht und Pflicht des Staates ist.
Im Unterschiede von dieser seiner allgemeinen Funktion und von
der hierunter begriffenen „negativen Kontrolle“ hat die Aufsicht des
Staates in ihrem speeifischen Sinne gerade diejenige Thätigkeit
der Selbstverwaltungskörper zum Gegenstande, welche ihre recht-
liche Kompetenz ausmacht und sich innerhalb ihrer ge-
setzlichen Grenzen bewegt. Sie wurzelt in der Grundanschau-
ung, dals die Erfüllung der ihnen als Kompetenz zufallenden Aufgabe
und die Bethätigung der ihnen für diesen Behuf zugeschriebenen Be-
fugnisse nicht dem freien, nur auf ihr eigenes Interesse gestellten Er-
messen der Selbstverwaltungskörper anheimfällt, sondern vielmehr
zugleich als rechtliche Verpflichtung gegenüber dem Staate
geordnet ist. Die Selbstverwaltungskörper sind dem Staate nicht nur