156 l. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
bestand, wie er notwendig Privatrecht erzeugt, nicht zugleich Pflichten
und Verantwortlichkeiten gegenüber dem Staat auf Einhaltung der
Grundbedingungen des Verkehres in Treue und Glauben mit sich brächte.
Kurz — das Privatrecht hat im Verhältnis zum öffentlichen Rechte
kein ausschlielsliches Herrschaftsgebiet, keinen ihm specifischen Stoff.
Das Privatrecht ist daher als Rechtsnorm eine unvollstän-
dige Bestimmung der an den betrachteten Lebensverhältnissen sich
entwickelnden Rechte und Pflichten, weil es dieselben nur für einen be-
stimmten Kreis der daran Beteiligten feststellt. Es bedarf der Er-
gänzung durch das öffentliche Recht, welches die Rechte und Pflichten
des Staates entwickelt, insofern und insoweit auch er an den nän-
lichen Lebensverhältnissen seiner Aufgabe gemäls beteiligt ist. Als
Objekte wissenschaftlicher Betrachtung abersind das Privat-
recht und das öffentliche Recht eine Abstraktion. Sie bilden die
Systematik der Rechtsverhältnisse unter dem Gesichtspunkte der daran
beteiligten Rechtssubjekte. Der andere wissenschaftliche
Standpunkt ist nicht weniger gerechtfertigt, welcher jene Abstraktion auf-
hebt und an ihrer Stelle zum Ausgangspunkt eine Systematik der Lebens-
verhältnisse selbst setzt, um an ihnen die rechtliche Ordnung in
ihrer Vollständigkeit, die Auseinandersetzung der Rechte und Pflichten
sowohl der Privatbeteiligten als des Staates darzustellen *.
II. Die Thatsache, dals ein und das nämliche Lebensverhältnis
seine rechtliche Bearbeitung sowohl durch das öffentliche als auch
durch das Privatrecht erfährt, begründet notwendig ein Wechsel-
verhältnis, ja vielfach sogar eine Verwechselung beider.
Innerhalb gewisser Grenzen — denn eine vollkommen willkür-
liche Verwechslung ist durch die Natur der Lebensverhältnisse aus-
geschlossen — ist es eine Frage entweder der allgemeinen Auffassung
‚des Staates und seiner Aufgaben oder auch nur der Technik des
Rechtes, ob ein Lebensverhältnis ausschliefslieh oder doch überwiegend
durch das Öffentliche oder ob und in welchem Umfange es durch das
Privatrecht bestimmt wird. So können die Verhältnisse der Nachbar-
schaft, der Wassernutzungen, der Verkehrsanstalten, des Versicherungs-
* Vom Standpunkt der Systematik des Privatrechtes ist es daher durch-
aus richtig, das Eigentum in der üblichen Weise als ausschliefsliche, generelle
rechtliche Herrschaft über eine Sache oder ähnlich zu definieren. Unrichtig
freilich ist es, die hierin liegende Abstraktion als die vollständige rechtliche
Ordnung des das Eigentum bildenden Thatbestandes zu betrachten und damit
die gleichzeitige öffentlichrechtliche Regelung desselben in staatsseitiger nicht
aur Beschränkung, sondern auch Anerkennung zu übersehen. Vgl. z. B.
Dernburg, Pandekten I $ 192.