Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

166 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates. 
Abstufungen des Gewohnheitsrechtes beruhen. Oder man reflektiert 
auf die verschiedene Beschaffenheit der Thatbestände; dann unter- 
scheidet man einseitige oder zweiseitige Willensbestimmungen mit der 
Absicht gesetzlich anerkannter Rechtswirkungen (Rechtsgeschäfte) oder 
rechtswidrige Handlungen, oder natürliche Thatsachen, an die das 
Gesetz unmittelbar und unabhängig von dem Willen der Beteiligten 
bestimmte Rechtswirkungen knüpft. Mag man nun aber die eine oder 
die andere Unterscheidung machen, immer kann man von einer privat- 
rechtlichen oder öffentlichrechtlichen Norm, von einem privatrecht- 
lichen oder öffentlichrechtlichen Thatbestand, mithin von einem Rechts- 
titel der einen oder anderen Art nur sprechen, indem man auf die 
innere Beschaffenheit der Rechte und Pflichten reflektiert, welche er- 
zeugt, verändert oder beendigt werden. Mit anderen Worten: die 
Qualifikation eines Rechtstitels als privatrechtlichen oder öffentlich- 
rechtlichen setzt diese Begriffsbestimmung bereits voraus. Die so- 
genannten „Privatrechtstitel“ inı Gebiete des öffentlichen Rechtes sind 
ein logischer Widerspruch. Was man damit bezeichnet — Vertrag, 
Verjährung, Zahlung, Privileg im Sinne der Verleihung — sind Rechts- 
titel, die ihre doktrinäre Ausbildung für das Privatrecht gefunden 
haben, die aber das Rechtsverhältnis, das sie treffen, in seiner Natur 
nicht bestimmen können und die eben darum selbst je nach dieser 
Natur öffentlichrechtliche oder privatrechtliche sind!®. Vertrag, Ver- 
jährung, Zahlung sind Öffentlichrechtliche, und nicht Privatrechtstitel, 
wenn sie z. B. von Steuerpflichten befreien oder dieselben erfüllen. 
Das Privileg als staatlicher Verleihungsakt ist stets öffentlichrechtlich, 
aber als Rechtstitel ist es privatrechtlich oder öffentlichrechtlich, je 
nachdem es dieses oder jenes Rechtsverhältnis begründet. Gerade 
darum ist die allgemeine Lehre von den Rechtstiteln eine solche, 
welche einer gemeinsamen Behandlung für beide Rechtsteile fähig und 
bedürftig ist. 
2. Es ist fernerhin schlechterdings unzutreffend, irgend einen 
10 Wo das positive Recht durch den Rechtstitel den Rechtsweg in öflent- 
lichen Rechtsverhältnissen begründen läfst, z. B. das preufsische Recht „be- 
sondere gesetzliche Bestimmung“ oder „specieller Rechtstitel“ bei polizeilichen 
Verfügungen mit vermögensrechtlichen Wirkungen (Gesetz vom 11. Mai 1842 
8 2), „notorische Orts- oder Bezirksverfassung“ bei Schulleistungen (Gesetz 
vom 24. Mai 1861 $ 15), „besonderer Befreiungsgrund“ (Privileg, Vertrag, 
A.L.R. II, 14 8 79), Zahlung und Verjährung (Gesetz vom 24. Mai 1861 $ 9) bei 
allgemeinen Anlagen und Abgaben, da findet „Erweiterung des Rechtsweges“ 
über das Privatrecht hinaus statt, die mit der Einführung der Verwaltungs- 
gerichtsbarkeit wieder aufgehoben wurde. (Vgl. Landesverwaltungsgesetz vom 
30. Juli 1883 $ 127. Zuständigkeitsgesetz vom 1. August 1883 $ 160.)
	        
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