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Privatfreiheit ist nicht identisch mit der Individualfreiheit. Denn
Private sind nicht blofs die Einzelnen als Einzelne, sondern auch
als Familienangehörige, als Mitglieder und Organe der dem Staate
nicht eingegliederten korporativen Verbände. In diesem Sinne be-
zeichnet die Privatfreiheit den Ausschnitt des gesellschaftlichen
Lebens, in dem sich die Kulturentwickelung des Volkes vollzieht durch
die Zwecksetzungen, durch den Selbstbetrieb, durch die ausschlielslich
unter ihnen selbst gestifteten Bindungs- und Verantwortlichkeitsver-
hältnisse der Privaten.
B. Die Verwaltung des Privatrechtes.
S 26.
Allgemeiner Charakter.
Wenn in der Begriffsbestimmung des öffentlichen und des Privat-
rechtes der Staat mit seinen Aufgaben und Thätigkeiten in Gegensatz
gestellt wird zu der Freiheit, zu den Aufgaben und Thätigkeiten der
Privaten, so ist es damit schlechterdings nicht gesagt, dafs die hier-
mit bezeichneten Lebensgebiete zusammenhangslos nebeneinander
hergehen. Vielmehr tritt der Staat in thätige und notwendige Be-
ziehung auch zu der Privatfreiheit.e. Und zwar aus einem doppelten
Grunde.
Zunächst die gesellschaftliche Thätigkeit, die das Privatrecht
regelt, bewegt sich nicht nur innerhalb des Staates. Sie ist die
breite Grundlage, über der sich der Staat bildet und erhebt. Sie be-
greift der Zahl und der Wirkung nach weitaus die gröfste Masse der
Vorgänge, durch welche sich das tägliche Leben des Volkes und seine
Kulturarbeit vollzieht. Auch bei der stärksten Entwickelung seiner
Machtstellung bleibt der Staat darauf angewiesen, die im Privatrecht
geregelte Privatfreiheit zur Voraussetzung und zum Ausgangspunkt
seines Eingreifens in die gesellschaftliche Entwickelung zu machen.
Vor allen Dingen — es sind die nämlichen Menschen und die
nämlichen menschlichen Ziele, es sind die nämlichen natürlichen und
historischen Lebensbedingungen, es sind die nämlichen Bedürfnisse,
welche in allen verschiedenen gesellschaftlichen Organisationsformen
wirksam sind. Es ist theoretisch widersinnig und praktisch undurch-
führbar, dafs die gesellschaftlichen Thätigkeiten, die sich durch den
Staat einerseits und mittels der Privatfreiheit andererseits vollziehen,
in einem Verhältnis des Widerspruches und der Hemmung stehen.
Es muls oberste Malsstäbe geben, welche der sittlichen und recht-