172 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
winden. Endlich gewinnt die Privatrechtserzeusung des Staates den
überwiegenden Einfluls, der in den modernen Kodifikationen des bürger-
lichen Rechtes seinen letzten Ausdruck findet.
In dieser Entwickelung gewinnt der Staat die Kraft, um durch
veränderte Gestaltung des Privatrechtes in zielbewulster Weise so
durchgreifende Einwirkungen auf den Gesamtzustand der Gesellschaft
auszuüben, wie sie den fundamentalster Umwandlungen des öffent-
lichen Rechtes nicht nachstehen. Hierfür bietet die in das Privatrecht
eingreifende Gesetzgebung, die an der Schwelle dieses Jahrhunderts
einsetzte und nach einer ihrer Haupterscheinungen als „Ablösungsgesetz-
gebung“ bezeichnet wird, das hervorragendste Beispiel. Ihr Wesen
liegt nicht in der Aufopferung und Veränderung wohlerworbener sub-
jektiver Privatrechte. Das war nur die allerdings tief einschneidende
Folge ihrer rückwirkenden Kraft. Vielmehr — und gerade hierin
unterscheidet sich diese Erscheinung durchaus von dem Wesen der
„Expropriation“, die eine Aufopferung wohlerworbener Rechte bei
unverändertem Bestande des sie begründenden objektiven Rechtes be-
zielt — das Wesen dieser Gesetzgebung liegt in einer Umwandelung
des objektiven Rechtes, welche grolsen Kategorieen von Privat-
dispositionen und Privatverhältnissen die Anerkennung rechtlicher Wirk-
samkeit verweigerte, die sie bisher besalsen, und sie solchen beilegte,
die sie bisher entbehrten. Sie verweigerte fernere Anerkennung der
Gestaltung des privaten Personenrechtes, welche die Leibeigenschaft,
Schutz- und Gutshörigkeit ausmachte. Sie erweiterte die bisher durch
ständische Gliederungen eingeengte Fähigkeit des Privatrechtserwerbes,
insbesondere rücksichtlich des Grundbesitzes. Sie dehnte entgegen der
herrschenden korporativen Organisation die gemeingültigen privatrecht-
lichen Unternehmungsformen auf den (iewerbebetrieb aus. Sie be-
seitigte die privatrechtlichen Ausschliefslichkeitsrechte der Bann- und
Zwangsrechte. Sie nahm den Privatdispositionen und den darauf ge-
gründeten Bindungsverhältnissen rechtsverbindliche Kraft, die darauf
abzielten, das Grundeigentum mit Veräulserungs- und Teilungsverboten
auf Generationen hin zu beschränken und dasselbe mit unablösbaren
Reallasten und bestimmten Servituten zu belasten. Ja, sie konsti-
tuierte Privatrechte, kraft deren — in den Gemeinheitsteilungen und
in den gutsherrlich-bäuerlichen Regulierungen — eine neue Verteilung
der Eigentums- und Nutzungsrechte an ganzen Feldfluren bewerk-
stelligt werden konnte. Mit dem allen schuf der Staat lediglich mit-
tels seiner Privatrechtspflege, lediglich durch Umwandlung der objek-
tiven rechtsverbindlichen. Mafsstäbe, welche die Auseinandersetzung der
Rechte und Pflichten der Privaten untereinander bewirken, eine