8 27. Die Privatrechtsgesetzgebung. 173
neue Grundlage für die Schiehtung der Bevölkerungsklassen und für
die gesamte Wirtschaft des Volkes, ja mehr als dies: er schuf ledig-
lich im Wege der Privatgesetzgebung Voraussetzungen, die mit Not-
wendigkeit eine veränderte Gestaltung des Staates selbst, seiner
Aufgaben wie seiner Organisationen bewirkten.
Allein wie tief auch die staatliche Gestaltung des Privatrechtes
eingreift direkt oder indirekt in alle gesellschaftlichen Verhältnisse,
wie sehr sie auch erfolgt nach gemeingültigen Malsstäben und im
Gemeininteresse des Volkes, die Natur des Privatrechtes bleibt die
nämliche, ob dasselbe in der Form der Autonomie oder des Gewohnheits-
rechtes oder aber der Gesetzgebung erzeugt werde. Und gerade das
ist es, was es bewirkt, dafs die Privatrechtsgesetzgebung einen be-
sonderen und eigentümlichen Charakter an sich trägt. Denn die Art
und Weise der Geltung, die Geltungskraft in diesem Sinne, welche
der Privatrechtsnorm überhaupt und darum auch dem Privatrechts-
gesetz innewohnt, ist eine andere als die der Öffentlichen Rechtsnorm.
Das erhärtet sich an zwei Punkten.
l. Zunächst an dem Unterschiede des absoluten und des disposi-
tiven Rechtes.
Unter dem absoluten Privatrecht versteht man den Komplex
von Rechtssätzen, welche durch die Begrenzung der Privatfreiheit und
durch das Wesen der gesellschaftlichen Grundbeziehungen bedingt oder
durch die sittlichen und technischen Anforderungen an die Gestaltung
der Lebensverhältnisse geboten sind und welche darum beim Zutreffen
des vorausgesetzten Thatbestandes mit rechtlicher Notwendigkeit die
Auseinandersetzung der Rechte und Pflichten der Beteiligten bewirken.
Sie haben in diesem Sinne eine unbedingte, unmittelbare Wirk-
samkeit.
Im Gegensatz hierzu steht das dispositive Recht®. Das Gebiet
seiner Wirksamkeit wird bezeichnet durch die privaten Lebensver-
hältnisse, deren rechtliche Gestaltung nach den näheren Mafsgaben
2 Absolute Rechtssätze sind keineswegs blols Gebote und Verbote, son-
dern auch solche, die die Form der Berechtigung, der Ermächtigung auf-
weisen: „Jeder Mensch ist rechtsfähig.* „Der Ehemann ist berechtigt, von
seiner Frau Gehorsam zu verlangen.“
® Bülow nimmt das Wort in einem hier schlechterdings nicht in Be-
tracht kommenden, so weiten Sinne, dafs er unter das dispositive Civilprozefs-
recht zieht nicht nur die Verfügungen der Parteien über ihre subjektiven
Prozefsrechte und des Richters über die in sein Ermessen gestellten Befug-
nisse, sondern auch die das zurückliegende materielle Prozefs- und Privatrecht
brechende Rechtskraft des Urteiles. (Civilistisches Archiv LXIV 1 ff.)