$ 31. Das Problem des Bundesstaates. 207
welche die Einzelstaaten nicht nur von einzelnen Seiten her und in
irgendwie bestimmten Segmenten ihrer Wirksamkeit, sondern in ihrer
Totalität als eingefügt in eine staatliche Gesamtordnung, die der
Bundesstaat, das Reich selber ist, erachtet.
Sie hat ihre Vertretung durch Hänel?, H. Schulze°®,
von Treitschke°? und in eigenartiger Konstruktion durch Gierke®
eefunden.
H. Die rechtliche Betrachtung der centralen und decentralisierten
Gewalten und ihres Wechselverhältnisses ist eine nur einseitige. Das
Wesen des Bundesstaates mufs seine ergänzende Bestimmung aus der
Organisation gewinnen.
Auch hier läfst die Betrachtung schon der allgemeinen, überein-
stimmenden Struktur wesentlich verschiedene Auffassungen hervortreten.
Nach der Lehre Labands°! hat die juristische Person, der kor-
porative Verband des Bundesstaates nicht auch Staatsangehörige,
sondern ausschliefslich die Einzelstaaten zu Mitgliedern. Diese
sind „nur einer idealen Person, deren Substrat sie selbst sind, unter-
geordnet“. Die Staatsgewalt des Bundes steht der Gesamtheit
der Mitglieder zu. Diese Gesamtheit ist Träger oder Inhaber der
Reichssuveränetät°?. |
Einer solchen Auffassung steht grundsätzlich die andere gegen-
über. Ihr sind — in Anwendung auf das Reich — nicht nur die
25 Einzelstaaten, sondern auch die Staatsangehörigen Mitglieder des
Reiches. Nach ihr bildet nicht die Gesamtheit der Einzelstaaten ein
selbständiges Rechtssubjekt, das die Reichssuveränetät trägt und inne-
hat, sondern die Reichsgewalt steht ausschliefslich den verfassunes-
mälsigen Organen des Reiches zu. Die Einzelstaaten aber sind ledig-
2’ Studien zum deutschen Staatsrecht I 66. 241.
$ Lehrbuch d. deutschen Staatsrechts I 46.
%° Bund und Reich, Preufs. Jahrb. XXXIV 513 f.
3 Labands Staatsrecht und die deutsche Rechtswissen-
schaft, in Schmollers Jahrbuch 1883 S. 1097 ff., insbesondere S. 1168 ff.
31 Staatsrecht d. deutschen Reichs I 56ff. Freilich ermäfsigt Laband
seine Anforderung an den Bundesstaat dahin, dafs nur eine „Beteiligung
der Einzelstaaten an der Herstellung des Gesamtwillens“ begrifflich erforder-
lich sei. Das ist selbstverständlich etwas vollkommen anderes als die Inne-
habung der gesamten Bundesgewalt durch die Gesamtheit der Einzelstaaten.
Aber er hält weiterhin gerade an dieser letzteren Bestimmung für die Kon-
struktion des deutschen Reiches fest.
»? Ebenso sind nach Zorn — Tübinger Zeitschr. 1881 S. 317 — die
früheren Träger der Suveränetät als Korporation jetzt Träger der Reichs-
suveränetät.
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