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$ 33. Die formelle Natur der Kompetenz. 219
2. Sodann — die Bundes- hier die Reichsverfassung bestimmt positiv
immer nur die Kompetenzen des centralen (Gemeinwesens.
Darum aber auch beruhen dieselben nirgends auf allgemeinen
Ermächtigungen, welche die Fülle und Allgemeinheit des Staatszweckes
zur Richtschnur baben, sondern sie werden durch speecialisierte
Klauseln über die dem centralen Gemeinwesen zugeschriebenen ein-
zelnen Staatsaufgaben und seine Regierungsrechte inhaltlich bestimmt
und begrenzt. Dagegen die Kompetenzen der Einzelstaaten werden
durch die Bundesverfassung nur negativ bestimmt. Ihnen verbleibt,
soviel das Verhältnis zur centralen Organisation betrifft, in allge-
meiner bundesverfassungsmäfig anerkannter Ermächtigung alles
dasjenige, was dem rechtlichen Wirkungskreise des centralen Gemein-
wesens nicht zugeschrieben ist. Es ist Sache des Partikularrechtes
und insbesondere der Partikularverfassung in freier Erwägung des
Staatszweckes diese allgemeine Ermächtigung näher zu gestalten.
Allerdings widersprechen diesen Sätzen auf den ersten Blick
gewisse Klauseln in den Bundesverfassungen, welche dem centralen
Gemeinwesen die weitesten, mit dem allgemeinen Staatszweck voll-
kommen zusammenfallenden Ziele zu stecken scheinen. So der Ein-
gang und a. 1 sect. 8. al. 1 der amerikanischen, der Eingang und art.
2 der Schweizer Bundesverfassung. So beeinnt die deutsche Reichs-
verfassung mit dem Satze: Die Einzelstaaten schliefsen einen Bund
„zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen
Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes“.
Allein diese allgemeinen Klauseln haben nicht die Absicht und die
Kraft rechtlicher Ermächtigungen, aus denen sich einzelne bestimmte
Kompetenzen ableiten lielsen, sondern sie bezeichnen nur in enun-
ciativer Weise den politischen Endzweck, den die Verfassungen durch
die dem Bunde in ihren specialisierenden Bestimmungen zugeschriebenen
Kompetenzen zu erreichen wünschen. Für die Schweiz — a. 3. —
und für die Vereinigten Staaten Amerikas — Amendement X — stellen
dies die besondern Verfassungsbestimmungen fest, welche ausdrücklich
den „suveränen“ Kantonen oder Einzelstaaten alle solche Rechte zu-
schreiben, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind. Aber auch
für das deutsche Reich, dessen Verfassung? ausdrücklich diesen Vor-
behalt nicht formuliert, ist nur dieselbe Deutung zulässig. Jede andere
Deutung würde R.V. a. 78 über die besondern Formen jeder Verfassungs-
änderung auf die wichtigste von allen, nämlich auf die Erweiterung
° Abweichend hierin von der Reichs- und Unionsverfassung von 1849
—$5—.