Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

224 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
als die allein herrschenden aufwies und welche auch heute noch den 
Typus des deutschen Staates bestimmen. 
Sie setzt zunächst voraus das territorialeZusammenfallen 
des Reiches mit der Summe der Einzelstaaten, dergestalt, 
dafs das Reich in Organisation und Wirksamkeit das Zusammensein 
und das Zusammenwirken einer Vielheit von Staatswesen darstellt. 
Jede Kompetenzbestimmung ist daher die Auseinandersetzung zweier 
Rechtssphären, des Reiches und der Einzelstaaten, innerhalb und auf 
dem Reichsgebiet. 
Sie stützt sich sodann auf den Grundsatz der Gleichberech- 
tigung aller Einzelstaaten im Verhältnis zu der Rechtsmacht 
des Reiches, — ein Grundsatz, der auch durch die hegemonische 
Stellung Preulsens nicht berührt wird. Denn diese äufsert sich nirgends 
in einer Besonderheit der Kompetenz des Reiches gegenüber dem 
Einzelstaat Preulsen, sondern ausschliefslich in den organisatori- 
schen Bestimmungen der Verfassung. 
Auch auf dieser gemeingültigen Grundlage genügt für die Fest- 
stellung der Kompetenzverhältnisse im Reiche nicht ein einfacher 
Malsstab. Vielmehr erfolgt dieselbe nur durch eine dreifache Reihe 
rechtlicher Bestinnmungen. 
l. An erster Stelle bewirkt die Reichsverfassung zwischen dem 
Reiche und den Einzelstaaten die Verteilung der Staatsaufgaben, 
der Verwaltungszweige oder, wie R.V. a. 4 dies bezeichnet, der „An- 
gelegenheiten“, welche in ihrer Gesamtheit den Zweck des deutschen 
Staatswesens ausmachen. 
Hierdurch wird die Verwaltung oder die materielle Kom- 
petenz des Reiches festgestellt. 
2. An zweiter Stelle bewirkt die Reichsverfassung die Ordnung 
der Thätigkeitsformen oder Funktionen, welche die gesetz- 
geberischen und vollziehenden Befugnisse, als die zur Verwirklichung 
der verteilten Staatsaufgaben erforderlichen Mittel, befassen. Sie er- 
geben in eigentümlicher Verteilung zwischen beiden Staatswesen die 
formellen Kompetenzen oder die KRegierungsrechte des 
Reiches. 
Die allgemeine Natur aller formellen Hoheitsrechte oder Regie- 
rungsgewalten, welche deren Wirksamkeit auf alle Gebiete der Staats- 
aufgaben oder Verwaltung erstreckt, zugleich aber die besondere Ge- 
staltung, die ihnen die Reichsverfassung in ihrer Zuweisung an das 
Reich und die Einzelstaaten aufprägt, fordert es, dals die systematische 
Darstellung die formellen Kompetenzen den materiellen vorausschickt. 
3. Sehliefslich entscheidet die Reichsverfassung über die Frage,
	        
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