236 II. Buch. Die Reichsgewalt.
welche eine eigene und unmittelbare Verwaltung des
Reiches begründen '.
Il. Wie von dieser Gestaltung der Regierungsgewalt notwendig
der gesamte organisatorische Aufbau des Reiches bedingt und beherrscht
ist, so ergeben sich aus derselben in strenger Folgerichtigkeit gewisse
oberste Sätze formeller und materieller Natur.
l. Formell Verfassungsgesetz ist nicht nur jede Bestimmung der
materiellen, sondern auch der formellen Kompetenzen des Reiches.
Nicht nur die ersteren, sondern auch die letzteren bedürfen nach Zu-
ständigkeit und Umfang des Nachweises aus der Reichsverfassung.
Verfassungsänderung ist nicht nur eine Änderung in der Verteilung
der Verwaltungsaufgaben zwischen Reich und Einzelstaaten, sondern
auch jede Erweiterung oder Beschränkung der dem Reiche zuständigen
Regierungsrechte.
2. 'Materiell besteht auf dem Gebiete der materiellen Reichs-
kompetenz durch die Gestaltung der Regierungsgewalt nicht nur ein
Verhältnis der Abgrenzung, sondern auch ein Verhältnis der Kon-
kurrenz und des Zusammenwirkens zwischen dem Reiche und den
Einzelstaaten. Und zwar entwickelt sich dasselbe in der doppelten
Richtung alles Rechtes.
Es ist auf der einen Seite das verfassungsmäfsige Recht
der Einzelstaaten, an der Aus- und Durchführung der Reichsaufgaben
mitzuwirken. Aber es ist auf der anderen Seite auch die verfassungs-
mälsiee Pflicht derselben, diese ihre Mitwirkung dem Reiche zu
leisten. Die Regierungsgsewalt der Einzelstaaten steht verfassungs-
mäfsig im Dienste des Reiches.
3. Die Verwaltungsgebiete, welche die materielle Kompetenz des
Reiches ausmachen, zerfallen in zwei grolse Gruppen: die eine Gruppe,
für welehe der Grundsatz und die Regel der R.V. a. 4, ergänzt durch
" Die Ergänzung und Wandlung, welche R.V. a. 4 aus den Specialbestim-
mungen der R.V. empfängt, bewirkt es, dafs die unbedingte Fassung desselben,
wenn sie isoliert betrachtet wird, irreführend ist. Wenn er dem Reiche für
alle Angelegenheiten unter No. 1—16 nur Beaufsichtigung und Gesetzgebung
zuschreibt, so ist das nur für die Gesetzgebung, nicht für die Beaufsichti-
gung zutreffend. In voller technischer Korrektheit hätte sich der Zusatz
empfohlen: soweit die Specialbestimmungen der Verfassung nicht weiter
gehende Rechte einräumen. Selbstverständlich berührt das nicht die Geltung
des allgemeinen Grundsatzes, dafs die Specialbestimmungen jedes Gesetzes die
Kraft und Bedeutung haben, die allgemeinen Bestimmungen zu limitieren und
auf dem betroffenen Specialgebiet selbst aufzuheben. Das gilt insbesondere
von den No. 10 und 14 der R.V. a. 4 gegenüber den Bestimmungen der Ab-
schnitte VIII u. XI.