$35. Die grundsätzliche Gestaltung der Regierungsrechte des Reiches. 237
die allgemeinen Bestimmungen über das Reichsverordnungsrecht, Gel-
tung hat; die andere Gruppe, für welche dies durch besondere Ver-
fassungsbestimmungen aufser Geltung tritt.
Aber für diese zweite Gruppe besteht kein Grundsatz und keine
Regel. Vielmehr erfolgt hier die Bestimmung der Rechte, welche die
Regierungsgewalt des Reiches befalst, von Fall zu Fall und in einer für
jeden Fall besonderen Weise, dergestalt, dafs dem Reiche bald nur
einzelne, specialisierte und zusätzliche Befugnisse erwachsen, bald aber
eine Verdichtung seiner Rechte in der Weise des Einheitsstaates entsteht.
Und hierdurch gerade wird eine Vielgestaltigkeit, Künstlichkeit und
Verwickelung erzeugt, welche die praktische Handhabung und die
theoretische Bestimmung der Reichskompetenz weitaus zu dem schwie-
riesten Teil des öffentlichen Rechtes in Deutschland macht.
IV. Mit dem allen erwächst der Darstellung des deutschen Staats-
rechtes die besondere Aufgabe, die Gestaltung auch der Regierungs-
gewalt zu betrachten unter dem einseitigen Gesichtspunkte der Kom-
petenz.
Sie untersucht hier nicht die allgemeine rechtliche Natur der
Resierungsgewalt im ganzen und in ihren einzelnen Thätigkeitsformen,
nicht die allgemeinen Bedingungen, an die sich die Rechtsgültigkeit
und Rechtsverbindlichkeit ihrer Akte knüpft, und nicht die allgemeinen
Rechtswirkungen, welche dieselben erzeugen. Das ist Aufgabe der
Darstellung der Regierungsgewalt als Funktion.
Die Darstellung der Kompetenz betrachtet vielmehr die Regie-
rungsgewalt ausschlielslich unter dem Gesichtspunkte desjenigen Rechts-
verhältnisses, welches durch dieselbe zwischen dem Reiche und den
Einzelstaaten gestiftet wird. Sie hat daher nach der Methode, welche
die historische Entwickelung des Reiches nach und über den Einzel-
staaten fordert, die Rechte der Regierung, welche dem Reiche zu-
geschrieben sind, zu bezeichnen, den Einfluls, welchen die Einzelstaaten
auf dieselben ausüben, zu bestinmen und das Verhältnis der Aus-
schliefslichkeit oder Konkurrenz festzustellen, welches im Bereiche der
materiellen Reichskompetenz zwischen der Regierungsgewalt des Reiches
und der der Einzelstaaten besteht. Sie thut dies unter den vier Rubriken,
welche die Reichsverfassung als Gesetzgebung und Verord-
nungsrecht, als Beaufsichtigung und „unmittelbare und
eigene Verwaltung“ des Reiches aufweist,