Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

8 36. Die Kompetenz des Reiches zur Gesetzgebung im allgemeinen. 241 
Suprematie bewährt. Es kann die hervorgetretenen Inkongruenzen, 
die Hemmungen und Schmälerungen, die der Wirkung seiner Gesetze 
entgegentreten, zum Motive nehmen, um in den Formen der Ver- 
fassungsänderung die Erweiterung seiner materiellen Kompetenz herbei- 
zuführen, welche die volle Erreichung seiner Absichten sicher stellt. 
II. Der an die Spitze gestellte Grundsatz ist für die Abgrenzung. 
der beiderseitigen Rechtssphären nur nach einer Seite hin aus- 
reichend. Er entscheidet negativ über den vollständigen Ausschluls 
des Reiches von den Verwaltungsgebieten, welche der selbständigen 
Gesetzgebung der Einzelstaaten verbleiben. Aber er entscheidet in 
keiner Weise über die andere Frage, welche Rechtsstellung 
den Einzelstaaten innerhalb des Gebietes der Reichs- 
gesetzgebung zusteht. | 
Ihre Beantwortung erfolgt erst durch eine dreifache Bestimmung. 
1. Die Einzelstaaten bilden in ihrer Zusammenfassung zum Reiche 
organische Glieder desselben. 
Damit ist es als eine Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dals den 
Einzelstaaten als solchen ein Recht der Mitwirkung auch bei der 
Rechtserzeugung von Reichs wegen zusteht. 
Und nicht minder besteht die andere Möglichkeit, dals die 
territoriale Gliederung nach Einzelstaaten eine Beschränkung der 
territorialen Wirksamkeit der Reichsgesetzgebung herbeiführt, ins- 
besondere in dem Sinne, dals dieselbe nur territorial gemeines, nicht 
aber partikulares Recht zu schaffen berufen ist. 
Die Bejahung oder Verneinung der einen und der anderen Mög- 
lichkeit entscheidet über die Unselbständigkeit oder Selbständig- 
keit, über die territoriale Beschränktheit oder Unbeschränkt- 
heit der Reichsgesetzgebung im Verhältnis zu den Einzelstaaten. 
2. Die Einzelstaaten ferner sind eine dem Reiche historisch 
vorhergehende Erscheinung. Sie waren Staaten mit einer in ihrem 
Innern suveränen Gesetzgebung, wenngleich deren Ausübung an die 
Beschlüsse eines Staatenbundes gebunden gewesen war. Mit ihrem 
Eintritt in das Reich erlangte allerdings eine Reihe von Rechtssätzen 
durch die Reichsverfassung unmittelbar Geltung, welche in das Staats- 
leben, in das objektive Recht jedes Einzelstaates tief einschnitten. 
Allein dieses unmittelbar zur Geltung gelangende Recht erfüllte weitaus 
nicht den Kreis der materiellen Kompetenzen, welche fortan der 
Gesetzgebung des Reiches anheimfielen. Vielmehr beharrte der in die 
Reichskompetenz fallende Rechtsstoff zunächst in seiner partikularen 
Zersplitterung, und es bestand wenigstens die Möglichkeit, dals den 
Einzelstaaten ihr Recht zur Gesetzgebung auch auf den Gebieten der 
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 16
	        
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