$ 37. Die formelle Selbständigkeit u.d.territoriale Unbeschränktheitete. 2348
I. Kapitel.
Die Stellung der Einzelstaaten im Gebiete der Reichs-
gesetzgebung.
I. Die formelle Selbständigkeit und die territoriale Unbeschränkt-
heit der Gesetzgebung.
8 37.
I. In den Formen, welche der Gesetzgebung rechtlich notwendig
sind, ist das Reich in durchgreifender Grundsätzlichkeit zur vollen
Selbständigkeit erhoben. Die Reichsverfassung stellt die Reichs-
gesetzgebung in voller Ausschliefslichkeit auf die Thätigkeit und die
Autorität allein des Reiches selber.
1. Das gilt zunächst von dem ersten Stadium der Gesetzgebung,
der gesetzgeberischen Willensbildung als des rechtsgültigen Beschlusses,
dals und was Gesetz sein soll.
Hier bildet die Reichsverfassung — nach dem Muster der Reichs-
und Unionsverfassung von 1849 — einen charakteristischen Unter-
schied zu den anderen Bundesverfassungen, welche den Einzelstaaten
an wesentlichen Punkten des Gesetzgebungsprozesses einen entscheiden-
den Einfluls einräumen. Nach der Verfassung der Schweiz — aa. 89.
93. 121 — steht den Kantonen das Recht der Initiative für jede Art
von Gesetzen zu; auf Verlangen von 8 Kantonen müssen alle vom
National- und Ständerat beschlossenen Gesetze dem Volke zur An-
nahme oder Verwerfung vorgelegt werden. Nach der Verfassung so-
wohl der Eidgenossenschaft als der amerikanischen Union bedürfen
alle Verfassungsänderungen der Mitwirkung der Einzelstaaten.
Die deutsche Reichsverfassung kennt grundsätzlich eine solche
Rechtsstellung der Einzelstaaten nicht. Sie bewerkstelligt die gesetz-
geberische Willensbildung ausschließlich durch die Organe des
Reiches und innerhalb derselben. Den Einzelstaaten als solchen
gewährt sie weder ein Recht der Initiative noch ein Recht der Zu-
stimmung zu irgend welchen gesetzgeberischen Beschlüssen. Aller Ein-
fluls, welcher den Einzelstaaten auf die Reichsgesetzgebung dem Erfolge
nach gewährt. werden soll, ist dem Rechte nach ausschliefßslich ge-
knüpft an die Mitgliedschaft im Bundesrate, als dem einen Organe
des Reiches, welches in Gemeinschaft mit dem Reichstage der gesetz-
geberischen Beschlufsfassung dient. Nur den Mitgliedern des Bundes-
rates als solchen und innerhalb dieser Körperschaft steht das Recht
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