246 II. Buch. Die Reichsgewalt.
einzelnen oder mehrerer Einzelstaaten oder selbst durch herausgerissene
(rebietsteile eines oder mehrerer Einzelstaaten bezeichnet wird°.
Das gilt sogar dann, wenn die gesetzgeberische Kompetenz des
Reiches materiell, dem Gegenstande nach durch räumliche Beziehungen
näher bestimmt und beschränkt wird. So die Gesetzgebung für ge-
wisse Regelungen „auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasser-
strafsen“ — R.V. a. 4 No. 9 —, so die „gemeinsame Gesetzgebung“
über das bürgerliche, Straf- und Prozefsrecht — a. 4 No. 13 —, so
die. gesetzmälsige Anlage von Eisenbahnen im Interesse des „gemein-
samen“ Verkehres — a. 41. Denn in allen diesen Fällen ist es nicht
ausgeschlossen, dafs gerade ein Reichsgesetz von formell beschränktem
Geltungsgebiete, insbesondere auch die Aufhebung eines Partikular-
gesetzes, sich als das entsprechende und gebotene Mittel für die be-
absichtigte verfassungsmälsige „Gemeinsamkeit“ darstellt®.
Überall mithin kann in diesem Sinne gemeines wie partikulares
Recht von Reichs wegen erzeugt werden.
2. Vor allen Dingen aber bringt R.V. a. 2 in Anwendung auf
die Gesetzgebung die Parömie zur Geltung: Quidquid est in territorio
est de territorio. Die räumliche Beziehung zum Staatsgebiet ist der
Rechtsgrund für die Unterwerfungspflicht unter die Staatsgewalt.
Allerdings nicht der einzige, nicht der ausschliefsliche
Rechtsgrund — das besagt weder die gemeingültige Parömie noch
R.V. a. 2. Gewifs ist auf der einen Seite die Prätension des Staates,
nach seiner Willkür aller Welt in aller Welt rechtsverbindliche Be-
fehle erteilen zu können, psychologisch widersinnig und rechtlich un-
möglich. Aber auf der anderen Seite erhebt jeder Staat den An-
spruch, dals seine Rechtsordnung aus besonderen Gründen auch aufser-
halb seines Gebietes rechtliche Wirksamkeit entfalte. Die persönliche
Staatsangebörigkeit, die Schutzgenossenschaft, die Nationalität des
Schiffes, das Verhältnis des Staatsdienstes, die militärische Occupation
bilden überall Thatbestände, an welche das positive Recht Gehorsams-
pflichten gegen den Staat unabhängig von der räumlichen Beziehung
zu seinem Staatsgebiete knüpft. Und das gilt auch für die Rechts-
verbindlichkeit der Reichsgesetze. Die verfassungsmälsigen Kompetenzen
5 S. R.V. a.35: „Das Reich ausschliefslich hat die Gesetzgebung — über
die Mafsregeln, welche in den Zollausschlüssen zur Sicherung der gemein-
samen Zollgrenze erforderlich sind“, und die zahlreichen räumlich beschränkten
Reichsgesetze: vom 4. Mai 1868 für die hohenzollernschen Lande, vom 4. Juli 1868
für Mecklenburg, Lauenburg, Lübeck u. s. w.
6 Binding, Strafrecht I 277. 285. Laband, Staatsrecht d. deutschen
Reiches I 582 — gegen Heinze, Verhältnis S. 143.