298 II. Buch. Die Reichsgewalt.
1. Die Vorschrift der Verfassungen, dafs ein Gegenstand der Re-
gelung im Wege der Gesetzgebung unterliegt, ist zweideutig. Sie
kann die eine Bedeutung haben, dafs die Regelung nicht ohne einen
Akt der Gesetzgebung, vielmehr nur auf Grund eines solchen ge-
schehen darf — so jedoch, dafs dieser Forderung auch durch die im
Wege der Gesetzgebung erfolgende Regelung, Gewährung und Ver-
teilung von Verordnungsrechten Genüge geschieht. Sie kann aber
auch die andere Bedeutung haben, dafs die Regelung nur durch ein
Gesetz selbst, nur unter Mitwirkung der Volksvertretung, nicht aber
durch gesetzliche Ermächtigung zur Verordnung erfolgen soll. Ob das
eine oder das andere zutrifft, darüber hat die Auslegung nach gemein-
gültigen Regeln zu entscheiden. Das gilt sowohl für die Einzelstaats-
wie für die Reichsverfassung. Für die letztere kommen hier ins-
besondere die Bestimmungen über die „gesetzliche Regelung“
der Zahl der Reichstagsabgeordneten — a. 20 al. 2 —, über die Fest-
stellung des Reichshaushaltsetats „durch ein Gesetz“ — a. 69 —,
über die Aufnahme von Anleihen und die Übernahme von Garantieen
im „Wege der Gesetzgebung“ — a. 73 —, über die Ver-
änderungen der Verfassung im „Wege der Gesetzgebung“ —
a. 78 —, in Betracht... Sie schliefsen ihrer Absicht nach die Gewährung
von Verordnungsrechten im Wege der einfachen Gesetzgebung
entweder überhaupt oder doch schlechthin’ aus.
2. Eine weitere Grenze entsteht dem Reiche durch die besonderen
Grundsätze der verfassungsmälsigen Kompetenzverteilung zwischen ihm
und den Einzelstaaten. Nach denselben ist das Reich auf allen den
Gebieten, auf denen das Recht der Vollziehung, die Ausübung der
Amts- und Dienstgewalten den Einzelstaaten als eigenes Recht ver-
fassungsmälsig verbleibt, nicht befugt, in Bezug auf Vollzugs-
'verordnungen, im Gegensatz zu den gesetzvertretenden Verordnungen,
das ihm zustehende mittelbare Verordnungsrecht im Wege der ein-
fachen Gesetzgebung in ein unmittelbares Verordnungsrecht zu
verwandeln. Es ist Verfassungsänderung, wenn das Reich an Stelle
einer Direktion der Vollzugsgewalt der Einzelstaaten durch seine Ge-
setzgebung und durch nur. gegenüber den letzteren wirksame Ver-
ordnungen sich die Vollzugsgewalt selbst in einem unmittelbaren Ver-
ordnungsrecht zueignet.
Aber auch mit diesen Beschränkungen verbleibt dem Reiche die
verfassungsmälsige Kompetenz, sein Verordnungsrecht im Wege der
5 So mögen die Modalitäten einer Anleihe oder Garantie im Verordnungs-
wege geregelt werden können, aber die Ermächtigung zur Aufnahme !oder
Übernahme selbst bedarf des Gesetzes.