302 II. Buch. Die Reichsgewalt.
tretenden Falles der Zwangs- und Strafmalsregeln, welche die gestörte
oder bedrohte Pflichterfüllung erfordert.
Nur in diesem engeren, specifischen Sinne ist die „Beaufsichtigung“
eine besondere Funktion auf einem besonderen Gebiete, welche nicht
blofs der allgemeine Bestandteil jeder Funktion des Staates auf jedem
Verwaltungsgebiete ist. Nur als solche ist sie einer besonderen Dar-
stellung fähig oder doch bedürftig. |
II. Aus dem mehrdeutigen Sprachgebrauch entsteht die Frage:
welche Bedeutung hat die „Beaufsichtigung“ in R.V. a. 4?
In ihrer Beantwortung ist negativ ein Zweifaches ausgeschlossen.
Es kann sich nicht um die ganz allgemeine Bedeutung des Wortes
handeln. Denn die beobachtende und ermittelnde Funktion des Reiches
ist ein notwendiger, selbstverständlicher und in diesem Sinne unselb-
ständiger Bestandteil aller seiner Kompetenzen, insbesondere auch
seiner Gesetzgebung. Aus der Gegenüberstellung von Beaufsichtigung
und Gesetzgebung aber läfst sich nur folgern, dafs der ersteren ein
selbständiger Inhalt gegenüber der letzteren beigemessen werden soll.
Ausgeschlossen aber nicht minder ist die Bedeutung des Wortes
als behördenmälsiger Dienstaufsicht. Es ist nicht dasselbe, wie in der
Wahrnehmung des „Aufsichts“dienstes nach R.V. a. 50,4 oder wie (lie
„Aufsicht“ des Kaisers über das gesamte Konsulatswesen nach R.V. a.
56. Denn auch hier wiederum ist es selbstverständlich, dafs, insofern
und insoweit das Reich ein eigenes Behördensystem zu entwickeln
vermag, ihm auch die Dienstaufsicht zustehen muls. Vor allen Dingen
aber wäre die Beziehung, in welche der Wortlaut der R.V. a. 4 die
Beaufsichtigung wie die Gesetzgebung zu „die nachstehenden An-
gelegenheiten“ setzt, geradezu sinnlos, wenn es sich um Dienstaufsicht
handelte.
Positiv ergiebt sich der wahre Sinn des Wortes aus der den ge-
samten organisatorischen Aufbau des Reiches beherrschenden Bedeutung
der R.V. a. 4, aus seiner Absicht nämlich, den Grundsatz festzustellen,
dafs auf den Gebieten der materiellen Reichskompetenz eine bestimmte
Verteilung der Regierungsrechte zwischen dem Reiche und den Einzel-
staaten stattfinden soll.
In der Gegenüberstellung von Beaufsichtigung und Gesetzgebung
ist die „Gesetzgebung“ dasjenige Regierungsrecht, welches- dem
Reiche, wie einem Einheitsstaate, unabhängig von jeder Zwischen-
stellung der Einzelstaaten, zu selbständiger, unmittelbarer Verwirk-
lichung der ihm überwiesenen Staatsaufgaben zusteht — selbstverständ-
lich unbeschadet seines weiteren, aus sonstigen Verfassungsbestim-
mungen nachweisbaren Verordnungsrechtes.