320 II. Buch. Die Reichsgewalt.
treffenden Angelegenheiten von Reichs wegen verbleibt dem Einzel-
staate die ausführende Thätigkeit mittels der Rechte seiner Staats-
gewalt. Hierauf beruht die verfassungsmälsige Selbständigkeit
der Einzelstaaten auch auf den Gebieten der Reichskompetenz. Und
zwar sind die hieraus entspringenden Rechte in keinem Sinne ab-
geleitete; weder in dem Sinne einer Übertragung von seiten des
Reiches noch im Sinne einer Ausübung fremden Rechtes im Namen
des Reiches. Vielmehr stehen diese Rechte den Einzelstaaten zu un-
mittelbar kraft der Verfassung und zu eigenem Rechte, genau so
wie dem Reiche die seinigen!.
Gegenüber der verfassungsmälsigen Selbständigkeit der Einzel-
staaten nun aber bewirkt es die Beaufsichtigung, als ein überall
aktuelles Recht, dals zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten ein
Verhältnis rechtlicher Verantwortlichkeit gestiftet wird. Die
letzteren sind dem ersten in den hier zutreffenden: Gebieten der
Reichskompetenz dahin verantwortlich, dafs die Handhabung ihrer
Staatsgewalt mit dem Interesse des Reiches, welches demselben an der
Ausführung des Partikular- und des Reichsrechtes verfassungsmäfsig
zugesprochen ist, im Einklang stehe.
Und zwar handelt es sich nicht blols um Verantwortlichkeit in
1 Unmittelbar kraft der Verfassung, d. h. ohne ein vermittelndes öffent-
liches Rechtsgeschäft. Zu eigenem Rechte in dem von Rosin — Hirths
Annalen 1883 S. 277 ff. — endgültig festgestellten Sinne, welcher das sub-
jektive Recht charakterisiert. Zorn, Staatsrecht d. deutschen Reiches I 58
(näher erläutert in Zeitschr. f. ges. Staatsw. XXXVII 310 ff., Hirths Annalen
1884 S. 469) befolgt mit Jellinek, Staatenverbindungen S. 144, Bake,
Beschouwingen S. 177 ff, Borel, Souverainete S. 63. 70. 71.80 — eine andere
Terminologie. Nach ihr werden die Worte „eigenes“ und „abgeleitetes“ Recht
in Beziehung gesetzt zu dem objektiven Recht. „Eigenes Recht“ hat im
Verhältnis zu den Einzelstaaten nur das Reich, weil es sich durch seine eigene
Verfassungsgesetzgebung (Kompetenz-Kompetenz) die eigene subjektivrechtliche
Sphäre begründet; „abgeleitet“ sind alle subjektivrechtlichen Kompetenzen der
Einzelstaaten, weil dieselben von dem Bestande und der Änderung der Ver-
fassungsgesetzgebung des Reiches, also von der Rechtserzeugung einer von
ihnen verschiedenen Autorität abhängig sind. Es ist selbstverständlich, dafs
die Behauptung, die Einzelstaaten haben nur abgeleitetes Recht, nach diesem
Sprachgebrauch Zorns, keine Widerlegung der anderen Behauptung ist und
sein will, dafs die Einzelstaaten ihr Selbstverwaltungs- und Gesetzgebungs-
recht zu eigenem Rechte nach der ersten, hier gebrauchten Terminologie
innehaben. Nur die Wendung, als ob die verfassungsmäfsigen Rechte der
Einzelstaaten um der Suveränetät des Reiches willen als von diesem auf jene
„übertragen“ gelten, ist eine reine Fiktion, die mit den wirklichen Rechts-
vorgängen in unauflöslichem Widerspruch steht. Sie beweist nur, dafs der
hierbei vorausgesetzte Begriff der Suveränetät falsch gebildet ist.