328 II. Buch. Die Reichsgewalt.
und unmittelbare Verwaltung des Reiches, rein oder modifiziert, auf
den Gebieten der Reichs- und Staatenpflege, und im Gegenteile, dals
seine Beaufsichtigung, rein oder modifiziert, auf den Gebieten der
Wohlfahrts- und Rechtspflege die herrschende Erscheinung ist. Aber
in allem Einzelnen zeigen sich Ausnahmen und die Modifikationen der
einen oder anderen Erscheinung sind in der mannigfachsten Weise
ausgeprägt.
Und so kann die Darstellung der Kompetenzverhältnisse des
Reiches und der Einzelstaaten auch unter diesem Gesichtspunkte nur
gewonnen werden durch die nähere Darstellung der einzelnen materi-
ellen Kompetenzgebiete in genauer Abwägung der verteilten Rollen.
Die bunte Verschlungenheit des deutschen Staatswesens findet nur in
den schwierigsten Untersuchungen und in den detailliertesten Fest-
stellungen das rechtliche Gegenbild seiner realen Erscheinung,
od. Allerdings formell ist die Verteilung eine fest bestimmte.
Als verfassungsmäfsiger Grundsatz ist ausschliefslich und allein
die Beaufsichtigung des Reiches für alle seiner Kompetenz unter-
liegenden Angelegenheiten ausdrücklich durch R.V. a. 4 formuliert.
Überall daher, wo der rechtliche Begriff der Beaufsichtigung, sei
es durch die eigene unmittelbare Verwaltung des Reiches schlechthin
oder in einzelnen unmittelbar vollziehenden Malsregeln durchbrochen
werden soll, bedarf es des besondern Nachweises der, unter dem for-
mellen Gesichtspunkte sich als Ausnahme darstellenden Erweiterung
der Reichskompetenz.
Solche Erweiterungen sind in einschneidender Weise durch die
Verfassung selbst in ihren besonderen Bestimmungen, insbesondere in
den Abschniten VII bis XII erfolgt.
Aber darüber hinaus hat der Gang der Gesetzgebung die un-
mittelbaren Vollziehungsbefugnisse des Reiches in einer grofsen Reihe
von Fällen, bald nur in geringfügigen Durchbrechungen der Beauf-
sichtigung mit einzelnen Malfsregeln, bald in bedeutsamer Überweisung
ganzer Amtszweige an die eigene und unmittelbare Verwaltung, ver-
mehrt und verstärkt. Alle diese Bestimmungen haben die Natur ver-
fassungsändernder Gesetze. Denn sie bewirken eine anderweite Ver-
teilung der Regierungsrechte zwischen dem Reiche und den Einzel-
staaten, als sie der Grundsatz des a. 4 und die besonderen Bestim-
mungen der Verfassung bewirkt haben.