Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

8 58. Die Mitgliedschaft der Einzelstaaten. 345 
Mit den beiden Bestimmungen der Artikel 1 und 6 ist die Fest- 
stellung der einzelstaatlichen Mitgliedschaft erfolgt, aber in durchaus 
eigentümlicher Weise. 
Sie ist formell Verfassungsgesetz. 
Sie ist sachlich sowohl dergestalt bestimmt, dafs die Zahl der 
einzelstaatlichen Mitglieder eine geschlossene ist?, als auch der- 
wie der Grundsatz selbst. Im konkreten Falle ist es unrichtig, dafs die nord- 
deutsche Verfassung den Grundsatz schlechthin angeordnet habe, dafs die 
Stimmführung sich nach Malsgabe der Vorschriften im Plenum des ehemaligen 
Bundes verteilen solle. Das, was die norddeutsche Verfassung einzig und 
allein aus der Bundesakte a. 6 herübernahm, waren die absoluten Zahlen 
der Stimmen der vereinzelten Staaten. Allein die Stimmführung im Bundes- 
rat wurde darum nicht minder einer wesentlich abweichenden Regelung unter- 
zogen von derjenigen in der Bundesversammlung. Denn zunächst ist das 
Stimmgewicht jedes Staates durch Veränderung der Gesamtstimmenzahl ein 
vollkommen verschiedenes, insbesondere für alle Pluralitätsstimmen bedeutend 
erhöhtes. Sodann widerspricht die Kumulation der Stimmen der annektierten 
Staaten mit der Stimme Preufsens dem Grundsatze des ehemaligen Bundes- 
rechtes. Die Stimmenkumulation war nach Wiener Schlufsakte a. 16 grund- 
sätzlich ausgeschlossen und nur in dem Falle der durch Erbfolge bewirkten 
Vereinigung mehrerer Staaten in einer Hand konnte die „Gesamtheit des 
Bundes“ eine solche durch besonderen Beschlufs herbeiführen. Thatsächlich 
ist im Verlauf der ganzen historischen Entwickelung des Bundes bei jeder Art 
der Staatenvereinigung immer nur der Wegfall der betreffenden Stimmen 
eingetreten. Aus diesen Gründen kann das „so dafs“ des a. 6 der norddeutschen 
Verfassung nicht bedeuten: „in Anwendung der Vorschriften für das Plenum 
des ehemaligen Bundes“, sondern nur „unter der näheren Bestimmung und 
Modifikation, dafs etc.“. Damit fällt denn aber in Umkehrung der Auffassung 
Labands das ganze dispositive Gewicht des hier in Frage stehenden Satzes 
auf das „Register“ der Staaten und Stimmen, während die Klausel „nach 
Mafsgabe der Vorschriften für das Plenum des deutschen Bundes“ — wie dies 
der Präsident der Bundeskommissare im konstituierenden Reichstag, Sten. Ber. 
S. 350, richtig stellte — nur das legislative Motiv bezeichnet und zwar das 
Motiv für einen einzelnen Bestandteil der als „Register“ nachfolgenden Be- 
stimmungen, nämlich für die absoluten Stimmenziffern, die aber in einen 
ganz anderen Zusammenhang gerückt sind. Und das ist jetzt durch die Reichs- 
verfassung zur vollen Evidenz gebracht. Denn als man Bayern anstatt seiner 
4 Stimmen in der ehemaligen Bundesversammlung deren 6 im Bundesrat ein- 
räumte und damit die einzige, für die Stimmführung in Betracht kommende 
Mafsgabe der Bundesakte aufser Anwendung setzte, mufste man notwendig 
auch im Text der Reichsverfassung die Berufung auf das ehemalige Bundes- 
recht beseitigen. Wenn Laband trotzdem die Anerkennung einer materiellen 
Fortwirkung der Mafsgaben des Bundesplenums in der Klausel findet: „Preufsen 
mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau 
und Frankfurt“, so ist das darum unmöglich, weil gerade diese Klausel von 
Anfang an in Widerspruch mit dem ehemaligen Bundesrechte stand. 
3 In Übereinstimmung mit der Schweizer Bundesverfassung — s. Blumer-
	        
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