Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 58. Die Mitgliedschaft der Einzelstaaten. 349 
änderungen begründet durch solehe Rechtshandlungen, mögen dies 
Verfassungs- oder Hausgesetze, Staats- oder Familienverträge sein, 
welche zur Zeit der Entstehung des norddeutschen Bundes und be- 
ziehungsweise des Reiches rechtseültige Bestandteile des Verfassungs- 
rechtes der Einzelstaaten bildeten, so gewinnen dieselben allerdings 
auch hier die rechtlichen Bedingungen der Durchführbarkeit erst 
durch die Regulierungen von Reichs wegen, welche durch R.V. aa. 
1 und 6 geboten sind. Aber dals dies geschehe, darauf haben die 
beteiligten Einzelstaaten einen in der Verfassung des Reiches selbst 
begründeten, wohl erworbenen Rechtsanspruch. Denn die Verfassung 
des Reiches hatte es zweifellos zur Absicht, die Einzelstaaten als Mit- 
glieder aufzunehmen in dem Rechtsbestande, welchen ihre eigene Ver- 
fassung aufwies. 
Insofern dagegen jene Veränderungen durch freie, der Bundes- 
geründung nachfolgende Beliebungen der Einzelstaaten herbeigeführt 
werden wollen, steht ihnen das freie leeislative Ermessen des Reiches 
entgegen. Es ist Sache der beteiligten Einzelstaaten sich der er- 
forderlichen Regulierungen von Reichs wegen rechtzeitig und in den 
zutreffenden Formen zu versichern. 
Allerdings entstehen hiernach den Einzelstaaten um ihrer Ein- 
eliederung in das Reich willen und aus dessen Organisationsgewalt 
Beschränkungen in dem Verfügungsrecht über den eigenen Bestand, 
welche dem suveränen Staate fremd sind. Aber sie sind formell 
die logisch notwendigen Folgerungen aus den Bestimmungen der 
R.V. aa. 1 und 6, die nur durch die willkürliche Annahme be- 
seitigt werden können, dals markante Bestandteile des gesetzlichen 
Wortlautes ohne rechtliche Relevanz sind. Dieselben sind nicht minder 
materiell die notwendigen Entwicklungen eines Bundesverhältnisses, 
in welchem dem Reiche Staatsart und damit Herrschaft über seine 
Gliederungen zugeschrieben werden mufs. Denn die Leugnung dieser 
Schranken würde die rechtliche Libertät der Einzelstaaten begründen, 
durch ihre Beliebungen die fundamentalen Organisationen des Reiches 
ohne jede Mitwirkung desselben zu ändern, ja in einer letzten Zuspit- 
zung dieselben in ihrer Existenz zu beseitigen !. 
1° Durch die Schaffung der geborenen Majorität eines Staates im Bundes- 
rate, durch die fortschreitende Reunion der Einzelstaaten zu einem Staat! — 
In der Litteratur treten für die Libertät der Einzelstaaten in Verschmelzung, 
Zersplitterung, Personalunion und Accession ein: Thudichum, Verfassungs- 
recht d. nordd. Bundes S. 61ff.; v. Rönne, Staatsrecht d. deutschen Reiches 
161; Schulze, Lehrbuch d. deutschen Staatsrechts S.8 ff; Laband, Staats- 
recht d. deutschen Reiches I 124; v. Kirchenheim, Lehrbuch d. deutschen
	        
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