$ 3. Die Gründung des norddeutschen Bundes. 35
ist nirgends bezweifelt worden, dals dem Inkrafttreten der Bundes-
verfassung eine Änderung der Partikularverfassungen auf verfassungs-
mälsigem Wege vorhergehen müsse.
Welche Formen hierfür geboten oder zulässig waren, darüber
hatte selbstverständlich jede einzelne Verfassung für sich zu entscheiden.
Alle waren in der Notwendigkeit irgend einer Mitwirkung des Land-
tages einstimmig. Aber die näheren Modalitäten konnten verschiedene
sein?®,
nach dem Stande unseres positiven Staatsrechtes ihre Anwendung auf Ver-
fassungsänderungen entschieden bestreiten. Denn sie widerspricht dem gemein-
gültigen, durch die juristische Logik geforderten Auslegungsgrundsatz, dafs
überall da, wo das positive Recht besondere Formen für die Rechtsgültig-
keit einer bestimmten Willenserklärung anordnet, die allgemeinen Formen,
zu denen die Willenserklärungen durch konkludente Handlungen gehören,
nicht hinreichen, um die Rechtsgültigkeit cben dieser Willenserklärung zu be-
gründen. Selbstverständlich darf mit dieser Frage, ob die Willenserklärungen
der konstitutionellen Faktoren über Verfassungsänderungen durch konkludente
Handlungen rechtsgültig erfolgen können, schlechterdings nicht die vollkommen
andere Frage — wie dies S. 32 den Anschein hat — verwechselt werden, ob
eine formwidrige und darum rechtsungültige, aber thatsächlich durchgesetzte
Verfassungsänderung durch Anerkennung der beteiligten Faktoren des Staats-
lebens geheilt werden oder gar ob Gewohnheitsrecht sich auch gegen Ver-
fassungsrecht bilden könne.
® Binding, Gründung S. 15. 31 geht von der Annahme aus, dafs nach
dem Augustbündnis nur eine der Verfassungsvereinbarung vorhergehende
Mitwirkung der Partikularlegislaturen zulässig gewesen sei, dergestalt, dafs
die vereinbarte Verfassung ohne weiteres oder doch ohne weitere stän-
dische Mitwirkung Geltung gewinnen sollte. Allein aus dem Wortlaut des
Augustbündnisses folgt dies nicht. Wenn Artikel 2 vorschreibt: „die Zwecke
des Bündnisses sollen definitiv durch eine Bundesverfassung — sichergestellt
werden, unter Mitwirkung eines — Parlamentes“, so hat hier das Wort „definitiv“
in keiner Weise eine Beziehung auf die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen
die zu vereinbarende Verfassung Geltung gewinnen kann und soll, wie Binding
behauptet, sondern dasselbe ‚steht nur im Gegensatz zum Artikel 1, der ein
provisorisches Bündnis mit ganz beschränkten Zwecken regelt. Ebenso
wenig ist es richtig, dafs die Annahme Bindings die einmütige Rechtsauf-
fassung der Regierungen, insbesondere des führenden Staates Preulsen ge-
wesen sei. In den Kommissionsberatungen des preufsischen Abgeordneten-
hauses über das vorgelegte Wahlgesetz — Drucksachen des Abgh. 1866/67
No. 48 — erklärten die Kommissare der Regierung: „Über das Verhältnis
des Parlamentes zu den verbündeten Regierungen, falls seine Beschlüsse von
deren Vorlagen wesentlich abweichen sollten, und über die Stellung desselben
zu den Ständen oder Volksvertretungen der einzelnen Bundesländer liefsen
sich noch keine bestimmte oder bindende Erklärungen abgeben, da auch in
dieser Richtung noch keine Vereinbarung zwischen den betreffenden Regie-
rungen getroffen sei; die königl. Staatsregierung beabsichtige aber diesen