Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

358 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Eidgenossenschaft und in breitester Weise nach der deutschen Reichs- 
und Unionsverfassung von 1849. Hier sind die Grundrechte in ihrem 
überwiegenden Umfange dazu bestimmt, au[lserhalb der sonst ver- 
fassungsmälsig festgestellten Bundeskompetenz und ohne die Absicht, 
eine solche im normalen Sinne zu begründen, der Gesetzgebung und 
Vollziehung der Einzelstaaten gewisse negative Grenzen und positive 
Richtungen im Interesse der staatsbürgerlichen Rechte vorzuschreiben ®. 
Hier bewirkt das Recht des Bundes, wenn es sich auch in der ver- 
fassungsmälsigen Formulierung der Verpflichtungen der Einzelstaaten 
und in der Aufsicht über deren Einhaltung erschöpft und insbesondere 
die Kompetenz zu weiteren gesetzgeberischen Regulierungen nicht 
enthält, trotzdem einen Übergriff auf solche Verwaltungsgebiete, die 
an sich der Kompetenz der Einzelstaaten zugeschrieben sind. 
Und noch darüber hinaus liegt es, wenn die Schweizer. Ver- 
fassung in einer grofsen Auffassung des Berufes des Bundesstaates 
die Gerichtsbarkeit desselben auf alle Beschwerden über Verletzung 
verfassungsmäfsiger Rechte der Bürger erstreckt, selbst dann, wenn 
dieselben ausschlielslich auf den Kantonalverfassungen beruhen’. 
Ill. Dem allen gegenüber erhebt sich die Frage, in welcher 
Weise die deutsche Reichsverfassung die Kompetenz des Reiches über 
die Reichs- und  Staatsangehörigkeit geregelt hat. Es ist dies ge- 
schehen durch die eine grundsätzliche Bestimmung des a. 1 No. 1: 
Der Beaufsichtigung und (Gesetzgebung des Reiches unterliegt 
das „Staatsbürgerrecht“ !°. 
Aber diese Bestimmung unterliegt mannigfachen Schwierigkeiten 
der Auslegung. 
Zweifellos ist es, dals das Wort „Staatsbürgerrecht“ nicht in der 
engeren Beziehung auf den Einzelstaat genommen ist, sondern gleich- 
mälsig die Rechtsstellung der Reichs- und der Einzelstaatsangehörigen 
befalst. 
Unbezweifelt ist es nicht minder, dafs das Reich dadurch berufen 
ist, die thatsächlichen Voraussetzungen und das rechtliche Grund- 
verhältnis der Mitgliedschaft in den Erwerbs- und Verlustgründen, in 
8 Reichsverf. von 1849 $ 130. Unionsverfassung von 1849 $ 128: „Sie“ 
— die Grundrechte — „dienen den Verfassungen der deutschen Einzel- 
staaten zur Norm und werden ihre Anwendung auf deren besondere Ver- 
hältnisse in den Gesetzgebungen dieser Staaten finden“. 
9 Schweizer Verf. a. 113 No. 3. 
10 Die Einfügung des Wortes beruht auf einem Amendement von Hammer- 
stein im konstituierenden Reichstag — Sten. Ber. S. 270. 271. 273 —.
	        
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