Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 59. Das „Staatsbürgerrecht“. 359 
den allgemeinen Rechten und Pflichten der Zugehörigkeit zu dem 
Reichs- und Einzelstaatsverband zu regeln. 
Demgemäß ist denn auch das grundlegende Reichsgesetz vom 
1. Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Reichs- und 
Staatsangehörigkeit ergangen. Es bringt — in Übereinstimmung mit 
dem Schweizer, aber in Umkehrung des nordamerikanischen Bundes- 
rechtes — den Grundsatz zur Geltung, dals die Angehörigkeit zum 
Einzelstaate das primäre Verhältnis ist, mit dem von Gesetzes wegen 
die Reichsangehörigkeit verknüpft ist. Demgemäls entwickelt. dasselbe 
nur die Gründe, welche den Erwerb und Verlust der Einzelstaats- 
angehöriekeit herbeiführen. Demgemäls bleibt aber auch, der Ver- 
fassung entsprechend, das Reich auf das Recht der Gesetzgebung, 
Verordnung und Beaufsichtigung beschränkt. Alle Akte der Voll- 
ziehung aber, soweit nicht konsularische Funktionen im Auslande oder 
die besonderen Verhältnisse Elsafs-Lothringens und der Kolonieen in 
Betracht kommen!!, sind den Einzelstaaten in Aufnahme, Naturali- 
sation, Wiederverleihung, Entlassung und Entziehung vorbehalten. 
Zweifel dagegen entsteht, ob das Wort „Staatsbürgerrecht“ auch 
die besonderen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten befafst. 
Hier liegt auf der einen Seite zum mindesten die Vermutung vor, 
dafs die Kompetenz des Reiches nicht schlechthin auf die Regulierung 
der Staatsbürgerrechte in jedem an sich der verfassungsmälsigen 
Kompetenz der Einzelstaaten unterliegenden Verwaltungszweige be- 
zogen werden soll. Denn, wenn vom Standpunkte der staatsbürger- 
lichen, einschliefsliich der politischen Rechte aus nahezu alle Ver- 
waltungszweige und die Verfassung selbst ihre alles übrige bedingende 
Ordnung empfangen können, so wäre damit eine fast unbegrenzte 
Weite der Reichskompetenz gegeben. 
Auf der anderen Seite lälst das Wort „Staatsbürgerrecht“ ohne 
Willkür die Deutung zu, dals es die Koınpetenz des Reiches zu solchen 
„grundrechtlichen“ Bestimmungen auch auf den Kompetenzgebieten 
der Einzelstaaten begründet, wie sie die deutschen Verfassungen von 
1849 enthielten. Und demgemäls in der That ist die Verfassungs- 
klausel zur Zeit des norddeutschen Bundes verstanden worden !?. Auf 
  
  
it Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 $ 21 und vom 15. März 1888 8 6. 
12 Allerdings im konstituierenden Reichstag wurde noch nach Einfügung 
des Wortes „Staatsbürgerrecht“ in den Verfassungstext ein weiteres Amende- 
ment Braun gestellt, welches ausdrücklich die Kompetenz des Bundes zum 
Erlafs von Grundrechten feststellen sollte. Dasselbe wurde verworfen und 
hierbei die Auffassung geltend gemacht, dafs der Weg der Verfassungs- 
änderung behufs Feststellung von Grundrechten offen stehe, aber auch not-
	        
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