360 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Grund derselben ist aus der Initiative des Reichstages, und ohne dals
von seiten des Bundesrates eine Kontestation materiell der Kompetenz
und damit formell die Frage der Verfassungsänderung aufgeworfen
wurde, das Gesetz vom 3. Juli 1869 hervorgegangen, welches die
Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürger-
licher Beziehung als Grundrecht feststellte.
Allein alle Zweifel der Auslegung sind mit der Entstehung der
deutschen Reichsverfassung beseitigt worden.
Durch das bayerische Schlufsprotokoll vom 23. November 1870
ist in einer authentischen Interpretation, welcher allerdings keine rück-
wirkende Kraft, aber auch nicht eine nur sonderrechtliche Bedeutung
für Bayern, sondern vielmehr ausdrücklich Gemeingültigkeit beigelegt
wurde!®?, anerkannt worden:
„dafs unter der Gesetzgebungsbefuenis des Bundes über Staats-
bürgerrecht nur das Recht verstanden werden solle, die Bundes-
und Staatsangehörigkeit zu regeln und den Grundsatz der poli-
tischen Gleichberechtigung aller Konfessionen durchzuführen, dafs
sich im übrigen diese Legislative nicht auf die Frage erstrecken
solle, unter welchen Voraussetzungen jemand zur Ausübung poli-
tischer Rechte in einem einzelnen Staat befugt ist“.
Trotz der mangelhaften negativen Fassung ist hier mit. aus-
reichender Deutlichkeit positiv entschieden, dafs das Reich zur Regelung
besonderer staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten auch in der
Form von Grundrechten ausschlieflslich auf denjenigen Verwaltungs-
gebieten berufen ist, die, abgesehen von dem Worte „Staatsbürger-
recht“, durch die Verfassung seiner Kompetenz unterworfen sind, dals
dasselbe insbesondere politische Rechte nur an seine eigenen An-
gehörigen und mithin nur im Verhältnis zu seinen eigenen Organen zu
gewähren vermag.
wendig sei — v. Vincke, Sten. Ber. des konst. Reichstages S. 298. 299; Graf
Schwerin 8. 3801. 302; Graf v. Bismarck 8. 302 —. Allein in den Ver-
handlungen des norddeutschen Reichstages vom 23. Oktober 1867 — Sten. Ber.
S. 597 — und vom 16. Juni 1868 — ebenda S. 496. 497 -— über Petitionen und
über den Antrag Wiggers, die das Gesetz vom 3. Juli 1869 vorbereiteten,
wurde insbesondere von den Referenten und, wie man aus der Annahme ihrer
Anträge schliefsen darf, von der Majorität des Reichstages die Kompetenz
„zur Ordnung aller staatsbürgerlichen Rechte“ als unzweifelhaft erachtet. Die
Verhandlungen vom 2. Juni 1869 über den Gesetzentwurf selbst — s. Sten.
Ber. S. 1246 — lassen ebenfalls nur bei einer Minorität Zweifel an der
Kompetenz hervortreten, nicht aber in der Erklärung des Bundeskommissars.
13 S, die Verhandlungen des norddeutschen Reichstags vom 8. De-
zember 1870 — Sten. Ber. 8. 147 und 8. 163. 164 —.