Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

426 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Vor allen Dingen — aus ihrer Natur ergiebt sich die Stellung, 
welche die Straf- und Zwanesgewalt im Bundesstaate gewinnt. In 
strenger Folgerichtigkeit wird hier ihre Verteilung zwischen beiden 
Staatswesen der Verteilung und Abgrenzung der Staatsaufgaben und 
Regierungsrechte entsprechen. Soweit das Kompetenzgebiet 
des Gentralstaats reicht, stehen sie diesem, soweit das 
partikulare Kompetenzgebiet sich erstreckt, stehen sie 
den Einzelstaaten zu. 
In dieser Folgerichtigkeit haben die Bundesverfassungen der 
Schweiz und Nordamerikas beide Gewalten behandelt. Ins- 
besondere kennt keine von beiden eine besondere Bundeskompetenz 
für das Strafrecht. Dasselbe gilt als ein durch die übrigen Kompe- 
tenzen ohne weiteres gegebenes, aber durch diese auch begrenztes 
Recht des Bundes’. | 
Allein die Folgerichtigkeit, welche die beiden anderen Bundes- 
verfassungen zu strenger Geltung gebracht haben, wird für Deutsch- 
land, wie schon durch die Verfassungen von 1849, so jetzt durch die 
Reichsverfassung durchbrochen. Es ist dies geschehen durch die 
Klausel 13 der R.V. a. 4, welche dem Reiche „das Strafrecht“ und das 
ihm entsprechende „gerichtliche Verfahren“ als eine allen übrigen gleich- 
wertige und koordinierte Kompetenz zuschreibt. Hierdurch wird eine 
folgenreiche Verschiebung der Kompetenzen des Reiches und der Einzel- 
staaten bewirkt. Es wird insbesondere bewirkt, dafs der verfassungs- 
mäfsige Rechtsgrund und der Umfang der Straf- und Zwangs- 
der Übertretung, sei es nach der Verwandtschaft oder Besonderheit der That- 
bestände des strafbaren Unrechtes; eine Verwandtschaft oder Besonderheit, 
die nicht schlechthin identisch ist mit der Verwandtschaft oder Besonderheit 
der „Angriffsobjekte“. 
2 Die amerikanische Unionsverfassung hebt ausdrücklich nur die Straf- 
gesetzgebung über Hochverrat gegen die Union hervor — a. III s. 3 —, alle 
übrige Strafgewalt kann nur aus der allgemeinen Ermächtigung der Union 
zur Durchführung ihrer Kompetenzen — a. I s. 8 al. 17 — hergeleitet 
werden. Alle die Strafrechtspflege berührenden grundrechtlichen Bestimmungen 
gelten nur für die Union, mit Ausnahme der Verbote der bill of attainder 
und der ex post facto law — a. Is. 10 al. 1 —, welche auch die Einzel- 
staaten beschränken. Rüttimann, Nordamerikan. Bundesrecht II 40 ff. — 
Der Schweizer Eidgenossenschaft steht Strafgesetzgebung und Strafgewalt 
— einschliefslich Begnadigung und Amnestie — nur zu zum Schutze ihrer 
eigenen Organisationen und Kompetenzen — Verf. aa. 85 No. 7. 112. Bundes- 
strafgesetz vom 4. Februar 1853 —. Die kantonale Strafrechtspflege trifft 
nur das Verbot der körperlichen Strafen und der Todesurteile wegen politi- 
scher Verbrechen. Verf. a.65. Blumer-Morel, Schweiz. Bundesstaatsrecht 
III 125 ff.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.