39 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
und es bewirken, dals die andern Hauptorgane des Reiches,
der Bundesrat und der Reichstag, durch seine Berufung und Wahl-
ausschreibung sich bilden konnten und bildeten.
Nicht minder aber bedurfte es der Erhebung der Bundesverfassung
aus einer Vertragsbestimmung über die Verfassung für den zu be-
gründenden Bund zur Verfassung des Bundes selbst. Was bis-
her nur vertraesmälsiger Wille der Gründer des Bundes war, das mulste
die eigene objektivrechtliche Willensbestimmung des Bundes selbst als
eines von seinen Gründern, den Einzelstaaten verschiedenen, in seinen
Organen auf sich selbst gestellten, korporativen Verbandes werden.
Was bisher nur eine Vertragsnorm war und darum den vertrags-
mälsigen Beliebungen der Vertragschlielsenden unterlag, das mulste
nach der eigenen Absicht der vereinbarten Verfassung zu einer
Rechtsnorm erhoben werden, welche die Natur und Kraft eines Ge-
setzes dadurch annahm, dafs fortan ihre Aufrechterhaltung, ihre Auf-
hebung oder Abänderung nur von Bundes wegen selbst, durch seine
Organe und in den verfassungsmälsig vorgeschriebenen Formen, be-
wirkt werden konnte. Kurz: Der hierzu vertragsmälsig Berufene
mulste in demselben Atemzug!®, in dem er sich zum Organ des Bundes
aufwarf, die für den Bund vereinbarte Verfassung dem Bunde als
solchem aneignen und sie, wie dies der Vertrag wollte, als die ver-
fassungsgesetzliche Norm für sich selbst wie für jeden, den es anging,
anerkennen und verkünden "".
i6 Dals der norddeutsche Bundesstaat als Thatbestand und sein Gesetz
als die untrennbaren beiden Seiten des einen Konstituierungsaktes zugleich ent-
standen, war rechtlich dadurch nicht nur möglich, sondern auch notwendig,
dafs der Vertrag der Regierungen nicht auf Gründung eines Bundes, dessen
irgend wie provisorisch bestimmte Organe berufen waren, seine Verfassung
selbst festzustellen, sondern auf. Gründung eines in bestimmter, vertragsmäfsig
vorgesehener Weise verfalsten Bundes ging. Die Fiktion Zorns — D. Staatsr.
IS. 25 ff., Zeitschrift für Staatswissenschaften 1881 S. 331. 332, Hirths Annalen
1884 8. 477 ff. —, dals zuerst „die neue Staatsgewalt, die juristische Einheit
— der 22 Staaten“ faktisch in das Leben getreten sei und alsdann sofort
die norddeutsche Bundesverfassung als Gesetz octroyiert habe, ist daher, wie
sie den zu erklärenden Thatsachen widerspricht, auch vom Standpunkte eines
juristischen Konstruktionsbedürfnisses nicht zu rechtfertigen.
17 Die Meinung, als sei obige Darstellung ein eirculus vitiosus oder eine
schwach umhüllte generatio aequivoca, beruht auf der Verkennung des Unter-
schiedes zwischen der nur unter den’ Regierungen (bei Mitwirkung des kon-
stituierenden Reichstages) vereinbarten Verfassung, als eines Mafsstabes
vertragsmälsiger Rechte und Pflichten behufs Konstituierung des Bundes,
und der infolge der vertragsmäfsig herbeigeführten Konstituierung des
Bundes zur Geltung gelangten Verfassung des Bundes. Jener Vor-