& 73.. Der Kriegszustand. 435
I. Die Voraussetzungen werden durch das preulsische Gesetz
festgestellt, indem es die Erklärung des Belagerungszustandes in zwei
Fällen? für zulässig erklärt:
für den Fall eines Krieges, in den von den Feinden be-
drohten oder teilweise schon besetzten Provinzen, zum Zwecke der
Verteidigung;
für den Fall eines Aufruhres, bei dringender Gefahr für
die öffentliche Sicherheit, sowohl in Kriegs- als in Friedenszeiten.
In dem letzteren Fall ist die Niederschlagung eines ausgebrochenen,
aber auch die Niederhaltung eines bevorstehenden Aufruhrs der
Zweck. Denn wie die Worte „für den Fall“ nicht die formelle
Kriegserklärune, nicht den vollen rechtlichen Thatbestand des Krieges
erfordern, so sollten sie auch nach der ausgesprochenen Absicht
des Gesetzgebers nicht blols den thatsächlichen Ausbruch eines Auf-
ruhrs im strafrechtlichen Sinne, sondern die durch Thatsachen ge-
rechtfertigte Annahme des Bevorstehens eines solchen treffen ®.
Hiermit ist auch. der zulässige territoriale Umfang des Be-
lagerungszustandes bezeichnet. Denn soweit auch hier die freie
Würdigung der thatsächlichen Verhältnisse Platz greift, so ist doch
die rechtliche Grenze durch Voraussetzung und Zweck gesetzt. Es
wird daher der Belagerungszustand regelmälsig nur einzelne Gebiets-
teile treffen. Doch schlofs es das preufsische Gesetz nicht aus, dals
bei Zutreffen der thatsächlichen Voraussetzungen das ganze Staats-
gebiet in Belagerungszustand erklärt wurde”.
Alle diese Bestimmungen leiden eine einfache Anwendung auf
den vom Kaiser zu erklärenden Kriegszustand. Insbesondere ist die
territoriale Unbeschränktheit seines Rechtes scharf hervorgehoben.
Die Worte des Verfassungsartikels: Der Kaiser kann — — „einen
jeden Teil“ des Bundesgebietes in Kriegszustand erklären, sind im
5 Preufsisches Gesetz $$ 1. 2.
6 S. die Erklärung des preufsischen Ministers des Innern im sten. Ber.
der ersten Kammer 1850/51 I 171 und die Ablehnung des Antrages, dals die
Erklärung des Belagerungszustandes nur erfolgen dürfe: „in den in Aufruhr
befindlichen Orten oder Distrikten“.
° Dann nämlich, wenn die Mafsregel vom Staatsministerium ausging. Bei
der Erklärung des Belagerungszustandes durch Festungskommandanten und
kommandierende Generale traf die Wirkung selbstverständlich nur den Befehls-
distrikt derselben; hier konnte nur eine Addition gleichsam der einzelnen Er-
klärungen das ganze Staatsgebiet umfassen. Das „distrikts- und zeit-
weise“ bezieht sich nur auf die Suspension der Verfassungsartikel.
Preufs. Ges. $$ 2u 5. A. M. Thudichum, Verfassungsrecht S. 289.
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