Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 3. Die Gründung des norddeutschen Bundes. 33 
In diesem Sinne ist in durchaus zutreffender Weise die Konsti- 
tuierung des norddeutschen Bundes erfolgt durch das Publikandum 
vom 26. Juli 1867, welches in dem durch Erlafs gleichen Datums 
angeordneten Bundesgesetzblatt und unter Gegenzeichnung des am 
14. Juli ernannten Bundeskanzlers erschien und welches in einem 
Tenor 
die Bundesverfassung unter Rückdatierung ihrer Gesetzeskraft 
auf den 1. Juli und 
die Ergreifung der Präsidialgewalt seitens des Königs 
von Preulsen 
verkündete !3, 
In strenger Folgerichtigkeit hat sich diesem entscheidenden Akte 
alsdann die Einberufung des Bundesrates zu seiner ersten Sitzung 
wurf wäre nur begründet, wenn irgend jemand behauptet hätte, dafs die Kon- 
stituierung des Bundes in ihren beiden Momenten auf Grund einer bereits als 
geltend vorausgesetzten Verfassung und nicht auf Grund der durch die ver- 
einbarte Verfassung näher definierten vertragsmälsigen Rechte und 
Pflichten erfolgt wäre. Die Polemik Labands, Staatsrecht I 26, gegen 
Hänels Studien I 76. 77 trifft daher nicht zu, obgleich eine ganze Reihe von 
Schriftstellern ihr gefolgt ist. 
18 Dals das Publikandum nicht die Form der Verkündigung eines kon- 
stitutionellen Gesetzes haben konnte, ist selbstverständlich. Die Bundes-Ver- 
fassung ist nicht aus der Übereinstimmung von Bundesrat und Reichstag als 
konstitutionelles Gesetz hervorgegangen, sondern sie ist entstanden durch 
Vertrag der verbündeten Regierungen, dessen Inhalt vertragsgemäls mit Zu- 
stimmung des konstituierenden Reichstages festgestellt wurde, und sie hatte zur 
Voraussetzung ihrer rechtlichen Wirksamkeit die verkündenden Partikular- 
gesetze in dem entwickelten Sinne. Diese Momente sind es daher, welche das 
Publikandum in vollkommener Korrektheit bezeugt, um die Rechtsgültigkeit 
und Rechtsverbindlichkeit der Inkraftsetzung der Verfassung zu begründen. — 
Die Zurückdatierung der Geltung der Verfassung auf den 1. Juli ist gewifs 
ebenso wie später die Zurückdatierung der Reichsverfassung in ihrer An- 
wendung auf Bayern, etwas Aufsergewöhnliches, sie ist aber juristisch durch 
die gleichen Terminbestimmungen der verfassungsverkündenden Partikular- 
gesetze ohne jedes Bedenken. Im übrigen ist jeder Streit darüber müfsig, in 
welcher Reihenfolge die Einrichtung des Gesetzblattes, die Ernennung des 
Reichskanzlers, die Verkündigung der Verfassung und der Regierungsantritt 
des Präsidiums hätten erfolgen müssen oder können. Juristisch sind das alles 
nur die untrennbaren Momente des einen Konstituierungsaktes. Aber auch die 
formalste Jurisprudenz mufs schliesslich den praktischen Anforderungen von 
Raum und Zeit Rechnung tragen, um so mehr wenn es sich um eine so ver- 
wickelte Schöpfung handelt, wie die eines neuen Staatswesens ist. Zugegeben 
muls nur werden, dafs in allen Gründungsakten des norddeutschen Bundes und 
des Reiches, vor allem leider in der Textuierung der Verfassung selbst die 
juristische Technik eine geradezu klägliche Rolle gespielt hat. 
Binding, Handbuch. V.1: Hänel, Staatsrecht. 1. 3
	        
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