$ 74. Die Reichsexekution. 449
Fällung des Rechtsspruches einem Gerichtshofe zu übertragen, voraus-
gesetzt, dals, der ausdrücklichen Anordnung der Verfassung ent-
sprechend, der Rechtsspruch im Namen des Bundesrates ergeht und
das Vollstreckungsurteil dem Beschlusse des Bundesrates vorbehalten
bleibt.
III. Auch für die Vollstreckung der Exekution bestimmt die
Reichsverfassung lediglich das dazu berufene Organ, den Kaiser. Sie
beantwortet nicht in besonderen Festsetzungen die Frage, welche den
specifischen Gehalt dieses Stadiums der Exekution ausmacht und
welche zugleich rückwirkend für den Inhalt des Rechtsspruches und
des Vollstreckungsurteiles Bedeutung hat, die Frage nämlich nach den
Vollstreekungsmitteln.
Allerdings entspringt aus der Allgemeinheit der Fassung der Ver-
fassung das allgemeine Recht des Reiches, sich alle diejenigen Mittel
anzueignen, welche Natur und Zweck der Exekution fordern. Das
Reich wird daher sowohl diejenigen Malsregeln für sich in Anspruch
nehmen können, welche zweckdienlich sind, um die thatsächliche
Lage des Einzelstaates in volle Übereinstimmung mit dem rechts-
kräftigen Rechtsspruch zu setzen, sowie solche Malsregeln, welche im
konkreten Falle notwendig sind, um nicht blofs den augenblicklichen
Widerstand zu brechen, sondern auch das dauernde verfassungsmälsige
Verhalten des Einzelstaates sicher zu stellen.
Allein im einzelnen steht eine doppelte Art der Vollstreckungs-
malsregeln von wesentlicher Verschiedenheit ihrer rechtlichen Natur
in Frage.
1. Die Vollstreckungsmittel können ausschliefslich den Zweck und
die Kraft haben, die nach Malsgabe der Landesyerfassung zuständigen
Organe des Einzelstaates zu nötigen, durch ihre eigene Thätigkeit dep
verfassungsmälsig geforderten Zustand herzustellen. Hier wird die
militärische Exekution im Vordergrund stehen, welche darauf abzielt,
durch die kriegsmälsige Besetzung des Landes und durch die damit
nicht an, den Bundesrat zugleich Partei und Richter sein zu lassen“, dafs in
jedem Falle, in dem es dem beteiligten Einzelstaate beliebt, die Nichterfüllung
seiner Bundespflichten nicht als „Streit um den Thatbestand“, sondern als
Streit „um das Recht“ durch sein Vorbringen zu qualifizieren, und alsdann
nicht Vereinbarung auf schiedsrichterlichen Spruch erfolgt, nichts anderes
übrig bleibe, als eine authentische Gesetzesauslegung herbeizuführen, je nach
Lage des Falles in der Form des einfachen oder des Verfassungsänderungs-
gesetzes. Das ist dem jede solche Einschränkung ausschliefsenden Wortlaut
des Verfassungsartikels gegenüber nicht nur vollkommen willkürlich, sondern
heifst überdies die Mangelhaftigkeit der Verfassungsbestimmung durch einen
gleich mangelhaften Gesetzesvorschlag ersetzen wollen.
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 29