Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 74. Die Reichsexekution. 451 
unaufschiebbaren Militärleistungen nach eigener Entscheidung — zum 
Zwecke der Herstellung des verfassungsmälsigen Zustandes und bis 
zu seiner Sicherstellung die Regierungsgewalt selbst ganz oder teil- 
weise ergreifen. Behörden und Unterthanen waren zum Gehorsam 
gegen seine Regierungsakte kraft der Verfassung verpflichtet. Das 
besagt die „Sequestration“. 
Die Reichsverfassung hat an Stelle der entscheidenden und 
charakteristischen Worte und Wendungen der norddeutschen Ver- 
fassung sich mit einer allgemeinen Fassung begnügt. Sie ersetzt das 
Wort „Bundesfeldherr“ durch Kaiser und beseitigt die Vorschrift über 
die Sequestration?. 
In dieser Verschiedenheit der Fassung bleibt das Recht zur 
militärischen Exekution unberührt. Sie findet ihre Vollstreckung 
durch Anwendung der Militärgewalt des Reiches, deren Befehligung 
dem Kaiser zusteht. Sie ist darum in dem anderen Sinne eine un- 
mittelbare, dafs das Reich im Gegensatze zu dem Staatenbunde, 
der selbst hier immer nur auf Verwendung. der Machtmittel der 
Einzelstaaten angewiesen bleibt, sich auf seine eigenen Macht- 
mittel stützt. 
Aber jene Verschiedenheit, wenn man ihre volle Absichtlichkeit, 
wie man muls, voraussetzt, führt für den aktuellen Rechtszu- 
stand zu dem Schlusse, dals der Rechtssatz nicht mehr in Kraft 
steht, welcher zu einer vollen und teilweisen Ergreifung der Regierungs- 
gewalt und damit zu einer unmittelbar wirksamen Exekutionsgewalt 
ermächtistte.e Aktuell ist das Reich nur zu einer mittelbar wirk- 
samen Exekution befugt. 
Dagegen ist damit für die Kompetenz des Reiches nichts ent- 
schieden. Vielmehr schlielst die volle Allgemeinheit der Klausel jede 
Deutung aus, welche das Reich verhinderte, im Wege der Gesetz- 
gebung, und zwar der einfachen Ausführungsgesetzgebung, sich alle 
diejenigen Zwangsmittel anzueignen, welche es zur Durchsetzung seiner 
verfassungsmälsigen Anordnungen und Ermächtigungen gegenüber 
dem verfassungswidrigen Ungehorsam der Einzelstaaten für notwendig 
5 Der Präsident des Bundeskanzleramtes erklärte die Abweichung der 
Verfassungsverträge von der norddeutschen Verfassung dahin: „Es ist die 
Änderung, die dieser Artikel erhalten hat, eine faktisch in der That nicht 
wesentliche; die Veranlassung zu der Änderung liegt hauptsächlich auf dem 
Gebiete der internationalen Konvenienz.“ Verhandlungen des Reichstags vom 
5. Dez. 1870 S. 70. 
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