456 II. Buch. Die Reichsgewalt.
punkte des subjektiven Rechtes aus durch die berechtigten Verfügungen
des Verletzten der Rechtswidrigkeit entweder überhaupt oder doch in
ihren Folgen entkleidet werden kann. Soweit nicht durch dieselben
das vom objektiven Rechte seiner Absicht nach zu schützende An-
griffsobjekt selbst verschwindet — die Willensfreiheit bei Nötigung,
der Detentionswille bei Entwendung, das verletzbare Ehrgefühl bei
Beleidigung —, soweit hängt es überall von dem legislativen Er-
messen ab, ob es den Verfügungen des subjektiv Berechtigten irgend
welchen Einfluls auf die Strafbarkeit, das Strafmals oder die Straf-
verfolgung einräumen will.
II. Aber dem allen gegenüber — die Strafgewalt findet in ihrer
Bestimmung zum Schutze des objektiven Rechtes nicht eine not-
wendige Beschränkung. Sie kann auch das Mittel und das Zeichen
specifischer, durch den allgemeinen Rechtsschutzberuf des Staates nicht
bedingter Rechtsverhältnisse sein — Rechtsverhältnisse, welche überall
die Natur des Gewalt- oder Herrschaftsverhältnisses an sich tragen.
Hierauf gründet sich, im Unterschiede von dem allgemeinen, das
Ordnungsstrafrecht!.
1. Zu diesen speeifischen Rechtsverhältnissen gehört an erster
Stelle die Dienstgewalt des Staates über seine Beamten, seine
militärische Mannschaft und — nach näherer Mafsgabe des positiven
Rechtes — über die Beamten seiner Selbstverwaltungskörper. Ihr
entsprechen die Disceiplinarstrafen?.
Dahin gehört die Amtsgewalt der Behörden, die ihnen je nach
Umfang und Inhalt ihrer Kompetenz das Recht gewährt, besondere
ı Das Wort „Ordnungsstrafrecht“ wird hier überall in dem entwickelten
specifischen Sinne genommen, der sich nicht deckt mit der Bezeichnung „Ord-
nungsstrafen“ im Sprachgebrauch der Reichsgesetzgebung. Nach diesem fallen
nicht nur Diseiplinar-, Exekutivstrafen, sondern auch allgemeine Strafen
darunter. Insbesondere gebraucht die Zoll- und Steuergesetzgebung den Aus-
druck Ordnungsstrafe für eine dreifache Art allgemeiner Strafen, nämlich:
1. für die allgemeine Geldstrafe (bis 150 Mk.), welche dann eintritt, wenn
Übertretungen des Gesetzes oder der Verwaltungsvorschriften vorliegen, für
welche eine besondere Strafe nicht angedroht ist — Vereinszollgesetz vom
1. Juli 1869 $ 152, Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 $$ 32. 35, Branntwein-
steuergesetz vom 24. Juni 1887 8$ 20. 26 u.s. w.; 2. für Geldstrafen auf be-
sondere Thatbestände, wenn sie der allgemeinen Ordnungsstrafe (sub 1)
gleich sein sollen -- Vereinszollgesetz $ 137; 3. für solche besonders normierte
Strafen, welche die Steuerkontrollen und die technische Abwickelung des Be-
steuerungsgeschäftes schützen sollen — Vereinszollgesetz $ 151. Zuckersteuer-
gesetz vom 1. Juni 1886 I $ 5, IL S$ 2. 3.
2 Labes, Die Diseiplinargewalt des Staates über seine Beamten, in
Hirths Annalen 1889 S. 213 ff.