$ 3. Die Gründung des norddeutschen Bundes. 35
des Staates ist und seine Verfassung die Bedeutung und Kraft eines
Gesetzes hat.
Schluflsanmerkung.
Trotz der Entstehungsweise des norddeutschen Bundes wird von einigen
Schriftstellern, insbesondere von Liebe in „Staatsrechtliche Studien“ und
in der Zeitschrift für Staatswissenschaften 1832 S. 624 ff. („Staatsrechtliche
Streitfragen“) und von Jellinek, Lehrevon den Staatenverbindungen S. 253 ff.
(nach ihm auch von Borel, La souverainete et l’etat federatif S. 71 ff. 129 ff.)
die Möglichkeit geleugnet, dafs, wie der Staat überhaupt, so insbesondere der
Bundesstaat seinen rechtlichen Entstehungsgrund in einem Vertrage finden könne,
Liebe — Zeitschr. S. 625. 637 — stützt dies auf den ganz allgemeinen
Satz: „Aus einer vertragsmäfsigen Vereinbarung kann nur ein Vertrag resul-
tieren“. Dasist nur die Verwechslung zwischen dem Vertrag als einer allgemeinen
Rechtsform für die Begründung, Veränderung und Aufhebung der verschieden-
artigsten Rechtsverhältnisse und zwischen der besonderen Art des „obliga-
torischen“ Vertrages d. h. eines Vertrages, der die Begründung oder Änderung
eines obligatorischen Rechtsverhältnisses bewirkt. Aber diese Verwechslung
widerspricht in so starkem Mafse der Natur des Vertrages und seiner um-
fassenden Bedeutung für alle Zweige des öffentlichen und privaten Rechts-
lebens, dals eine Widerlegung überflüssig ist.
Anders und genauer begründet Jellinek und früher auch Liebe in
seinen Studien die Gegnerschaft. Doch müssen aus diesen Begründungen
von vornherein zwei Mifsverständnisse ausgeschieden werden, die sich ver-
steckt oder offen in die Deduktion eingeschlichen haben.
Zunächst — wenn schlechthin gesagt wird, ein Staatswesen entstehe
durch Vertrag, so kann damit nur unter der Voraussetzung einer gedanken-
losen Verkennung des Wesens des Rechtes die Auffassung verbunden sein,
als ob die thatsächlichen Vorgänge, die den Thatbestand eines „Staatswesens“
oder einer staatlichen „Volksgemeinschaft“ herstellig machen, zu nur recht-
lichen Erscheinungen verflüchtigt würden. Wie alles Recht nur eine einseitige
Betrachtung und Messung menschlicher Willensverhältnisse ist, unbeschadet
ihrer thatsächlichen, durch anderweitige, nicht-rechtliche Gesetze beherrschten
Natur, so bedeutet selbstverständlich auch die Behauptung vertragsmälsiger
Entstehung eines Staatswesens nicht anderes, als dafs die thatsächlichen, die
Staatengründung bewirkenden menschlichen Handlungen vom Standpunkte des
Rechtes aus ihre Regelung, ihre Qualifikation als aufeinander bezogener Rechte
und Pflichten empfangen haben durch die hierauf gerichtete und erklärte
Willensübereinstimmung der Beteiligten. Die Berufung auf die historische
Fakticität der Staatsgründung — Jellinek S. 256. 257 — ist unschlüssig, um
die Möglichkeit der Rechtsform des Vertrages zu widerlegen.
Sodann — wenn behauptet wird, dafs aus einem Vertrage die Verfassung
eines Staatswesens als dessen Gesetz hervorgehen könne, so darf dem nicht
die Auffassung unterschoben werden — Liebe, Studien S. 17ff., Jellinek S.258 —,
dals durch eine unbegreifliche Novation der Vertrag selbst in Gesetz, in
„Gemeinwille“ umgewandelt werde. Ganz richtig wird gesagt, der Vertrag
bleibt immer nur Vertrag und kann niemals Gesetz, Gemeinwille werden.
Aber jene Behauptung wird damit schlechterdings nicht widerlegt. Denn sie
besagt etwas ganz anderes, nämlich: der Vertrag giebt den Rechtsgrund ab,
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