Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

77. Gemeinsames und partikulares Recht. 463 
un 
exemten Einzelstaat einführt, aber auch wenn dadurch ein partikularer 
Rechtssatz aufgehoben wird, mit dessen Aufhebung sich die Gemein- 
samkeit des Rechtes mit den anderen Staaten herstellt®. 
Ja, die partikulare Formulierung widerspricht auch dann der 
Reichskompetenz nicht, wenn die Reichsgesetzgebung bei der Regelung 
gemeinsamen Rechtes in Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse eines 
Einzelstaates eine Ausnahme oder Modifikation von dem gemeinsamen 
Rechte gestattet, mag sie dies in der Form einer Ermächtigung für 
den Einzelstaat oder durch Formulierung des zugelassenen partikularen 
Rechtssatzes selbst thun*. Denn hier liegt der Absicht, dem sach- 
lichen Gehalte nach nicht die Schaffung eines partikularen Rechtssatzes 
vor, sondern eine Limitierung des gemeinsamen Rechtes im Interesse 
eines Einzelstaates, die zweifellos sowohl dem freien legislatorischen 
Ermessen als der Präcisierung des Reiches anheimfällt. 
Die Beschränkung bezieht sich weiterhin auf den Rechtssatz 
als solehen. Ein Rechtssatz ist aber dann nicht minder gemeinsam, 
wenn er ohne Beschränkung auf ein partikulares Geltungsgebiet 
formuliert ist, diethatsächlichen Voraussetzungen seiner Anwend- 
barkeit aber nur innerhalb eines Einzelstaates hervortreten. 
b. Das Reich ist ebensowenig kompetent, seine Gesetzgebung auf 
den ganzen Gebieten des Strafrechtes, bürgerlichen Rechtes und ge- 
richtlichen Verfahrens als geschlossener Rechtsteile für vollständig 
zu erklären in der Absicht und mit der Wirkung; dafs es schlechthin 
jede Partikulargesetzgebung über solche Verhältnisse ausschliefst, die 
einer partikularen Regelung fähig und bedürftig sind und durch das 
gemeinsame Recht nicht getroffen sind. Denn die Verfassungsklausel 
bewirkt eine Kompetenzbegrenzung, wie sie zweifellos beabsichtigt, nur 
dann, wenn sie die Möglichkeit fortdauernden Partikularrechtes als 
verfassungsmälsiges Recht der Einzelstaaten anerkennt. 
2. Auf der anderen Seite ist das Reich zur Beeründung und 
Wahrung der Rechtseinheit im vollen Umfange berufen. 
a. Von seinem legislatorischen Ermessen hänset es ab, in welchem 
Umfange es das partikulare Recht in seine zwingende gemeinsame 
Gesetzgebung aufgehen lassen will. Soweit insbesondere die gemein- 
same Strafgesetzeebung — nach dem Ausdrucke des Einführungs- 
gesetzes zum deutschen Strafgesetzbuche $ 2 — eine „Materie“ zum 
3 S. Reichsgesetz vom 22. April 1871 über Einführung des Handelsgesetz- 
buches, der Wechselordnung, des Strafgesetzbuches in Bayern; Reichsgesetz 
vom 4. November 1874 über Aufhebung gewisser privatrechtlicher Be- 
stimmungen des Lübischen und Rostocker Rechtes. 
* 8. das Bundesgesetz über Einführung der Wechselordnung und des 
Handelsgesetzbuches vom 5. Juni 1869 $ 4.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.