466 II. Buch. Die Reichsgewalt.
nirgends Anwendung, wo das Strafrecht in der Kompetenz zur Re-
gelung einer „Angelegenheit“ nur als eine Seite derselben ohne weiteres
einbegriffen ist.
Hier, in dem letzten Fall, ist die Reichskompetenz nicht nur auf
„gemeinsame“ Gesetzgebung angewiesen, sondern sie befalst auch
partikulare Rechtssätze und sie ist eine ausschlieflsliche auch
für das Strafrecht, wo seine Gesetzgebung dem Gegenstande nach es
ist. Auf den Gebieten eigener und unmittelbarer Verwal-
tung stehen dem Reiche diese erweiterten Befugnisse auch in An-
sehung des einschlagenden Strafrechtes zu. Wo das zutreffende
Gewaltverhältnis den Regelungen des Reiches unterliegt, erstrecken
sich dieselben auch auf das Ordnungsstrafrecht®. Denn das
Alinea 13 hat nicht die Absicht und nicht die Kraft, seine besonderen
Beschränkungen auf die in der hier fraglichen Rücksicht unbeschränkten
Kompetenzbestimmungen rückwärts und nachträglich zu übertragen ;
dasselbe beherrscht nicht die übrigen Kompetenzklauseln des a. 4 und
des sonstigen Verfassungstextes als eine übergeordnete Klausel, son-
dern es verhält sich zu ihnen nur in gleichwertiger Nebenordnung.
Im praktischem Gange der Reichsgesetzgebung über das Strafrecht
haben daher jene Beschränkungen das verfassungsmälsige Mals da ab-
gegeben, wo das Reich seinen Beruf zur Begründung der Rechts-
einheit erfüllt hat, wie dies zuerst durch das Strafgesetzbuch für
den norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 und alsdann durch das
15. Mai 1871
Strafgesetzbuch für das deutsche Reich vom 5 Frepruar 1876 geschehen
ist. Dagegen sind die Beschränkungen je nach Lage des Falles ent-
weder aulser Anwendung geblieben oder sie entspringen doch nur dem
legislativen Ermessen. in den strafrechtlichen oder doch mit Straf-
klauseln ausgestatteten Gesetzen, welche in reicher Fülle das Reich
auf den Specialgebieten seiner Kompetenz erlassen hat.
B. Umfang und Bedeutung.
8 79.
I. Innerhalb der dreifachen Begrenzung entwickelt sich die Kom-
petenz des Reiches über das „Strafrecht“ im ganzen Umfange seines
Begriffes zu eigentümlicher Tragweite.
8 Z. B. Personenstandsgesetz vom 6. Februar 1875 $ 11. Die Aufsichts-
behörde „ist befugt gegen Standesbeamte Warnungen, Verweise und Geld-
strafen bis 100 Mk. für jeden einzelnen Fall zu verhängen“.
+ Zusätze durch Reichsgesetz vom 24. Mai 1880, 5. April 1888, 13. Mai 1891.