36 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
kraft dessen das neue Staatswesen in der Rechtsform der vereinbarten Ver-
fassung begründet wird oder infolgedessen das Gemeinwesen in einer Organi-
sation entsteht, die es befähigt, den Träger des im Vertrage nach seinem
Inhalte präformierten Gemeinwillens zu bilden. Noch anders ausgedrückt:
In rechtlich gebundener Ausführung des Vertrages, durch die auf Er-
füllung desselben gerichtete Handlungsweise der Beteiligten wird es bewirkt,
dafs der Inhalt der im Vertrage für das zu begründende Staatswesen vor-
gesehenen Verfassung mit dessen Begründung zum Inhalt des organisierten
Gemeinwillens erhoben wird und damit, losgelöst von den ferneren vertrags-
mäfsigen Dispositionen der Gründer, als das eigene Gesetz des begründeten
Staates gilt.
Mit der Richtigstellung der Frage schrumpfen aber die übrigbleibenden
Gegengründe zur Unbegreiflichkeit zusammen. Unbegreiflich bleibt die Be-
hauptung — Liebe, Studien S. 20, Jellinek S. 256 — dafs die Begründung
einer höheren Organisation über mehreren Staaten, wie sie selbstverständlich
niemals durch den einzelnen Staat und durch seine nur für ihn selbst wirk-
same Gesetzgebung rechtlich bewirkt werden kann, so auch über die Willens-
sphäre oder die Rechtsmacht aller beteiligten Staaten in ihrer Vereinigung
hinausliege. Als ob der planmäfsigen Zusammensetzung mehrerer Kräfte nicht
überall das gelänge, was der Einzelkraft und allerdings auch sämtlichen
einzelnen Kräften in beziehungsloser Isolierung unmöglich ist! Als ob durch
irgend welche Abstraktion oder durch irgend einen Erfahrungssatz die Möglich-
keit ausgeschlossen sei, dafs mehrere Staaten gemeinsam einen Plan feststellen
und ausführen, wonach sie bestimmte Organisationen für bestimmte Zwecke
vorsehen, dieselben mit dem erforderlichen Personal und Material ausrüsten
und sich den von diesen so gebildeten Organen gefafsten Beschlüssen und
ergriffenen Mafsregeln unterordnen! Jellinek verstärkt die Unbegreiflichkeit
durch die Behauptung, dafs allerdings die Entstehung einer juristischen Person,
hier eines korporativen Verbandes auf dem Wege des Vertrages möglich sei
im Privatrecht, niemals aber im Völkerrecht, also unter Staaten. Er begründet
dies — 8. 259. 261 — damit, dafs es im Privatrecht ein „höherer Wille“, der
„Staatswille“, der „Wille der Rechtsordnung“ sei, „der an den Vertrag als
Rechtswirkung die Entstehung der juristischen Person knüpft und einem
solchen bezweckten Verhältnis der Über- und Unterordnung die rechtliche An-
erkennung verleiht“. Ganz richtig! Die objektive Rechtsordnung ist es,
die den auf Gründung eines korporativen Verbandes gerichteten Willens-
bestimmungen nicht etwa etwas inhaltlich Neues hiuzufügt, sondern viel-
mehr die dem gewollten Inhalt entsprechenden Rechtswirkungen zuschreibt
und damit auch in dieser Richtung die rechtliche Dispositionsfreiheit anerkennt.
Aber objektive Rechtsordnung ist auch das Völkerrecht, auf welchem die
Rechtsverbindlichkeit der zwischen den Staaten geschlossenen Verträge beruht.
Und wenn die Privatrechtsordnung im Staate die Dispositionsfreiheit der
Privaten bis zur Gründung korporativer Verbände ausdehnt, so ist es schlechthin
unerfindlich, welche Eigenschaft der Völkerrechtsordnung es denn ist, welche
die Dispositionsfreiheit der stärkern Willensmacht der Staaten dahin fesselt,
dals sie einen Vertrag gleichen Inhaltes nicht schliefsen können. Ja dies
wird zur Willkür und zum vollen Widerspruch, wenn auch Jellinek —
S. 79 — zugeben muls, dafs das Völkerrecht Verträge mehrerer Staaten auf
Verschmelzung zu einem Staatswesen und damit notwendig den Verzicht auf