Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

470 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Allerdings für den Einheitsstaat ist die Scheidung zwischen Straf- 
gesetz und der ihm zu Grunde liegenden Norm in der hier fraglichen 
Rücksicht ohne jeden Belang. Denn mag in ihm die Norm durch einen 
selbständigen, von dem Strafgesetze getrennten Akt der Gesetzgebung 
festgestellt werden oder mag dieselbe gleichzeitig in den Thatbeständen 
des Strafgesetzes von der Seite des ihr entgegengesetzten Unrechtes 
in schlüssiger Weise zum Ausdruck gelangen, beides, die Gebots- und 
Verbotsgewalt und die Strafgewalt liegt in einer Hand. 
Aber in keiner Weise ist dieser Sach- und Rechtsverhalt für den 
Bundesstaat selbstverständlich. 
Mochte die gemeinsame Strafgesetzgebung im vollen Umfange 
dem Bunde überwiesen werden, es blieb die sachliche und rechtliche 
Möglichkeit, die Gebots- und Verbotsgewalt nach dem Malsstab der 
gemeingültigen Kompetenzbestimmungen zwischen dem Reiche und den 
Einzelstaaten zu verteilen und nur die Strafgesetzgebung des Reiches 
für die Normen beider Teile schützend eintreten zu lassen. Das 
Verhältnis der Reichsstrafgesetzgebung zu den partikularen Normen 
würde alsdann das nämliche Verhältnis dargestellt haben, wie die süd- 
deutschen Polizeistrafgesetzbücher, welche ihre Strafklauseln unter der 
Voraussetzung des Erlasses der entsprechenden Polizeiverordnungen 
aufstellen, oder wie die sogenannten Blankettstrafgesetze des deut- 
schen Strafgesetzbuches®, deren Strafandrohung nur unter der Voraus- 
setzung des Zutreffens eines partikulargesetzlichen Gebotes oder Ver- 
botes ergeht. 
Allein eine solche Scheidung liegt der Strafrechtsklausel der 
Reichsverfassung nicht zu Grunde’. Sie hätte, um unzweifelhaft zu 
sein, gegenüber der Unterschiedslosigkeit der deutschen Strafgesetz- 
gebung zur Zeit der Bundesgründung einen irgendwie zutreffenden 
Ausdruck finden müssen. Ihre Annahme ist jetzt ausgeschlossen, nach- 
dem das Strafgesetzbuch des norddeutschen Bundes die Einheit des 
„Strafrechtes“ in diesem Sinne nicht anders, als im Einheitsstaate, 
zur Geltung brachte und in dieser Auffassung der einschlagenden 
Klausel die norddeutsche Verfassung auch auf Süddeutschland über- 
tragen wurde. Gewifs ist auch hiernach das Reich nicht berufen, 
Gebote und Verbote aufserhalb seines Kompetenzgebietes in Iso- 
lierung von ihrem strafrechtlichen Schutz zu erlassen, aber es ist 
6 zZ. B. 88 327; 328; 360 No. 2. 9. 12; 367 No. 2. 5. 9. 14; 361 No. 6; 
3662; 368 No. 1. 2. 8; 369 No. 3. 
TS. Binding, Handbuch d. Strafrechts I 278.
	        
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