883. Das bayerische Sonderrecht u. d. gemeingültige Verfassungsrecht. 493
ändern. Die Militärkonventionen selbst erkennen dies an. Sie be-
zeichnen es überall als ihre Absicht, die Bestimmungen des XI. Ver-
fassungsabschnittes zur Ausführung zu bringen. Gerade damit ge-
winnen sie zwar niemals die Bedeutung einer authentischen Interpre-
tation, wohl aber sind sie Zeugnisse über die Rechtsauffassung der
verbündeten Regierungen, welche, ihre Vereinbarkeit mit Wortlaut
und Absicht der Verfassung vorausgesetzt, Hülfsmittel der Auslegung
bilden. Damit haben aber auch sie es vielfach in Zweifel gesetzt, ob
Rechte, die sie dem Kaiser oder König von Preulsen einräumen, dem-
selben nur kraft dieses Vertrages oder ob sie auch ohne diesen
dem Kaiser schon kraft der Verfassung zustehen ; ob auf der anderen
Seite Rechte, die dem Kontingentsherrn hier konventionsmälsig zu-
gestanden werden, nur Definitionen verfassungsmäfsiger Ansprüche
oder erweiternde Zulassungen sind.
Auf Grund dieser Schwierigkeiten haben sich in der Litteratur
des deutschen Staatsrechtes zwei Grundauffassungen über die recht-
liche Natur des Militärwesens des Reiches gebildet, die in einem voll-
kommenen Gegensatz zueinander stehen.
Die eine hat nach M. Seydel® ihre konsequenteste Vertretung
in Laband’ gefunden. In scharfer Zuspitzung gelanst sie zu den
Sätzen:
„Die Militärhoheit steht den Einzelstaaten zu, aber sie ist
keine suveräne“. „Die Einzelstaaten sind formell die Subjekte der
Militärhoheit, aber den Inhalt und Umfang derselben bestimmt das
Reich“.
„Es giebt kein Heer desReiches, sondern nurKon-
tingente der Einzelstaaten“. „Die Einheit ist — bei dem
Heere Modifikation des Grundprinzipes“. — „Staatsrechtlich bleibt
der Grundsatz bestehen, dafs eine Reichsarmee nicht existiert, son-
dern dafs dies nur eine Kollektivbezeichnung ist, um die Kontingente
der Einzelstaaten zusammenzufassen“.
„Es giebt keine unmittelbare Reichsverwaltung, sondern
nur Kontingentsverwaltungen‘“.
Dem Reiche stehen einzelne bestimmte Rechte zu: „die
einheitliche Ordnung und Einrichtung des Heeres, der Oberbefehl in
Krieg und Frieden, die Feststellung des Rekrutenbedarfes und des
Ausgabenetats“, dagegen „den Einzelstaaten verblieben die
Kontingentsherrlichkeit und die Selbstverwaltung“.
6 Kommentar S.237; in Hirths Annalen 1875 S. 13894 ff. S. auch v.Rönne,
Staatsr. d. d. R. Ds 111ff., insbes S. 130.
T Staatsrecht d. d. R. II 497 ff., insbes. S. 501. 502. 503. 507. 560.