$ 85. Der militärische Befehl. 503
1. Das Kontingent gewinnt seine Bedeutung durch einen
doppelten Grundsatz. Zunächst bestimmt die territoriale Abgrenzung
der Einzelstaaten die Aushebungsbezirke der Rekruten*; denn nach
R.V. a. 60 wird die Präsenzstärke des deutschen Heeres „pro rata
von den einzelnen Bundesstaaten gestellt“. Es gilt sodann der
andere Grundsatz, dafs die aus diesen Bezirken ausgehobene Mann-
schaft dazu bestimmt ist, in besondere, auf das Landesterritorium
gleichsam radizierte und darum landsmannschaftlich charakterisierte
Truppenkörper eingestellt zu werden. Allerdings gilt dies nur mit der
Mafsgabe, welche aus der verfassungsmälsigen Gleichheit der Lasten-
verteilung und der Einheitlichkeit der Organisation flielst, dafs die
Verwendung der ausgehobenen Mannschaft ohne Rücksicht auf das
Kontingent dann stattzufinden hat, wenn und soweit die auf den
Einzelstaat treffende Rekrutenzahl nicht ausreicht, um die Einheit eines
Truppenkörpers, insbesondere in (den Specialwaffen, zu bilden, oder
(dieselbe überschielst. Allein dies ist eine Modifikation, nicht eine Auf-
hebung des Grundsatzes. Denn nur unter Anerkennung auch dieses
zweiten Grundsatzes kann die R.V. a. 66 von „eigenen Truppen“
der Landesherren, von „ihren Kontingenten“ sprechen, über welche
denselben andere Rechte als über die in ihrem Gebiete dislozierten
Truppen zustehen.
2. Die Rechte der Landesherren sind dreifacher Art.
a. Nurzu einem Teile beziehen sich dieselben auf das „eigene
Kontingent“. Hierunter fällt an erster Stelle das Recht der Bundes-
fürsten und Senate, die Offiziere innerhalb ihres Kontin-
sentes zu ernennen‘, und zwar bedeutet dieses Ernennungsrecht
unbezweifelt das Recht der Personalbestellung zu den innerhalb des
Kontingentes nach den einheitlichen Organisationsnormen und den
Festsetzungen des Etats vorhandenen Stellen’. Es befafst daher,
selbstverständlich nach Malsgabe der von Reichs wegen gültigen Ge-
setze, Verordnungen und Reglements®, nicht nur die Ernennung im
* Das ist in der Wehrordnung vom 22. Nov. 1888 ausnahmslos durch-
geführt; selbst der kleinste Staat bildet noch einen „Aushebungsbezirk“.
S. Anlage 1 zu $ 1 daselbst.
5 Daher kann auch der letzte Satz des $ 9 des Militärgesetzes vom
2. Mai 1874 nur mit dieser Beschränkung verstanden werden. Denn stände
dem Reiche das Recht zu, die gesamte in einem Territorium ausgehobene
Mannschaft in jeden beliebigen Truppenteil einzustellen, so verschwände das
Objekt, an welchem die Landesherren die ihnen kraft der Verfassung vor-
behaltenen Rechte ausüben könnten.
6 R.V. a. 66 1. 78. Militärgesetz vom 2. Mai 1874 $ 4.
® Nach Militärgesetz vom 2. Mai 1874 $ 7 erläfst der Kaiser die Be-