Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 91. Das Verhältnis der inneren zu den auswärtigen Kompetenzen etc. 539 
drängen, das Vertragsrecht des Gesamtstaates nicht an die Grenzen 
seines inneren Gesetzgebungs- und Verordnungsrechts zu binden. Das 
positive Recht allein entscheidet. 
In den Vereinigten Staaten von Amerika geht die über- 
wiegende Meinung der Schriftsteller und die Rechtsprechung des 
obersten Gerichtshofes dahin, dafs durch Verträge des Bundes auch 
solche Gegenstände geregelt werden können, welche in Bezug auf die 
innere Gesetzgebung der Kompetenz der Einzelstaaten anheimfallen ?. 
Für die Schweiz ist es jetzt nach einer Reihe von Präcedenz- 
fällen unbezweifelt, dafs der Bund in Verträgen mit auswärtigen Staaten 
„nicht blols über centralisierte Materien, sondern auch über Gegen- 
stände, deren Regelung sonst den Kantonen anheimgegeben ist“, ver- 
fügen darf, — nur dafs er durch die Bestimmungen seiner eigenen 
Verfassung, welche allgemeine politische Grundsätze aufstellen (z. B. 
die Prefsfreiheit, Verbot von Militärkapitulationen) oder welche den 
Kantonen gewisse Rechte ausdrücklich garantieren (z. B. Zoll- und 
Postentschädigungen, Konsumogebühren), gebunden bleibt®. 
Anders nach der deutschen Reichsverfassung. Sie giebt 
zunächst allerdings im al. 1 des a. 11 dem Kaiser das Recht, im 
Namen des Reiches Frieden zu schliefsen, Bündnisse und andere Ver- 
träge mit fremden Staaten einzugehen — und zwar schlechthin und 
ohne Unterschied des Inhaltes dieser Verträge. Allein trotzdem liegt 
ein solcher Unterschied den Ermächtigungen der Verfassung zu (srunde. 
Es wird dies durch das 3. Alinea desselben Artikels bewirkt, welches 
bestimmt: 
„Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche 
Gegenstände beziehen, welche nach a. 4 in den Bereich der Reichs- 
gesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschlufs die Zustimmung des 
Bundesrates und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichs- 
tages erforderlich.“ 
Hiernach würde die Annahme, dafs das Vertragsrecht gegenüber 
den inneren Kompetenzgrenzen des Reiches ein unbeschränktes sei, zu 
dem Ergebnis führen, dafs eine Mitwirkung der konstitutionellen Fak- 
toren zwar dann erforderlich sei, wenn die Verträge des Kaisers sich 
auf die der legislatorischen Absicht nach wesentlich durch a. 4 be- 
zeichneten Kompetenzgebiete des Reiches beschränken, dafs aber der 
Kaiser gerade dann das Vertragsrecht in ungebundener Weise zu hand- 
haben berechtigt sei, wenn dasselbe, die regelmälsigen Kompetenz- 
® Rüttimann, Nordamerikanisches Bundesstaatsrecht I 298 ff. 
® Blumer-Morel, Schweizerisches Bundesstaatsrecht I 195 ff.
	        
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