540 II. Buch. Die Reichsgewalt.
grenzen überschreitend, in die der Gesetzgebung der Einzelstaaten
vorbehaltenen Gebiete eingreift. Die sachliche Unannehmbarkeit dieses
Schlusses, die zweifellose Abwesenheit einer solchen legislatorischen
Absicht macht die gegenteilige Annahme zur Notwendigkeit. Die Be-
stimmung des al. 3, die nur für den Bereich der Reichsgesetzgebung
angeordnete Mitwirkung der legislativen Faktoren ergiebt es als eine
- durch die Verfassung selbst gemachte Voraussetzung, dafs die
Schranken seiner inneren Kompetenz zugleich Schran-
ken des Vertragsrechtes des Reiches sind“ Das Reich ist
nicht befugt ohne Einhaltung der Formen, welche für Änderungen der
verfassungsmälsigen Kompetenzen malsgebend sind, im Wege des
völkerrechtlichen Vertrages, sei es Gegenstände zu regeln, welche dem
Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht der Einzelstaaten vorbehalten
sind?, sei es sich Rechte unmittelbarer und eigener Verwaltung bei-
zulegen auf Gebieten, auf welchen unter der Beaufsichtigung und
Gesetzgebung des Reiches den Einzelstaaten die Vollziehung ver-
fassungsmälsig zusteht. Daher denn insbesondere das Reich nicht
berechtigt ist, im Wege des Staatsvertrages Grenzveränderungen der
Einzelstaaten einseitig herbeizuführen. Denn jede solche Grenzver-
änderung, ob sie Erweiterung oder Schmälerung des Gebietes enthalte,
verfügt zugleich über die den Einzelstaaten vorbehaltenen Hoheitsrechte
in ihrem territorialen Wirkungskreise. Daher ferner steht folgerichtig,
um des Ausschlusses der Reichskompetenz willen von den reglemen-
tarischen und Tarifbestimmungen für den internen Post- und Tele-
graphenverkehr innerhalb Bayerns, beziehungsweise Württembergs,
dem Reiche nach R.V. a. 52 die Regelung des eigenen unmittelbaren
Verkehrs Bayerns,. beziehungsweise Württembergs mit deren dem
Reiche nicht angehörenden Nachbarstaaten nicht zu®.
Allein mit dem allen bleibt die allgemeine Fassung, mit welcher
al. 1 des a. 11 dem Reiche das Vertragsrecht ohne Unterschied des
* Laband I 638 fi.; Proebst, Annalen d. deutschen Reiches 1882
S. 282 ff.
5 Daher die für die Geltung in Bayern erforderte Zustimmung Bayerns
(auf Grund des Vorbehaltes des bayerischen Verfassungsvertrages III $ 1 und
Schlufsprotokolles I) zu den Übereinkünften wegen gegenseitigen Verzichtes
auf Beibringung von Trauerlaubnisscheinen (mit Italien Centralblatt 1875 S. 155,
mit Belgien ebenda S. 719. Laband, Staatsrecht I 662 Note 2.
6 Daher der Vorbehalt des a. 52 des Postvertrages zwischen Deutschland
und Österreich-Ungarn vom 7. Mai 1872 (Reichsgesetzblatt 1873 S. 1 ff.): „Die
Anwendung der Bestimmungen dieses Vertrages auf den eigenen unmittel-
baren Verkehr Bayerns und Württembergs mit der österreichisch-ungarischen
Monarchie wird einer eigenen Vereinbarung vorbehalten.“