944 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Genehmigung, wo sie erforderlich war, einen Vertrag auch nicht mit
völkerrechtlicher Wirksamkeit abschliefsen kann? Oder aber ist
der Kaiser zu diesem völkerrechtlich verbindlichen Abschlufs zwar be-
fugt, jedoch dergestalt, dals die staatsrechtliche Wirksamkeit
und Ausführbarkeit des abgeschlossenen Vertrages von der vorge-
schriebenen Mitwirkung des Bundesrates und Reichstags abhängig bleibt?
Kurz — es handelt sich um die Rechtsfolgen, welche sich an die ver-
fassungsmälsigen Mitwirkungsrechte der verschiedenen Organe des
Reiches bei solchen völkerrechtlichen Akten knüpfen, zu denen das
Reich nach ihrem Inhalte kompetent ist".
Anders ist die hier erörterte Sachlage. Sie führt zu der von den
Mitwirkungsrechten bei der völkerrechtlicher Vertretung des Reiches
und deren Rechtsfolgen vollkommen absehenden Frage, ob rücksichtlich
eines bestimmten Gegenstandes, welcher möglicher Inhalt eines
Vertrages ist, überhaupt die Kompetenz besteht, irgend welches Ver-
fügungsrecht des Reiches und folglich auch irgend ein völkerrecht-
liches Vertretungsrecht namens des Reiches in Anspruch zu nehmen.
Auf diese Frage lälfst sich in keiner Weise die Antwort begründen,
dafs das Reich berechtigt sei im Verhältnis zu fremden Staaten und
mit völkerrechtlicher Wirksanıkeit über das zu verfügen, über was zu
verfügen ihm im Verhältnis zu den inneren Faktoren verfassungsmäfsig
verboten ist!®. Daher ist ein gegen die verfassungsmälsigen Kompe-
tenzen des Reiches namens desselben abgeschlossener Vertrag, wenn
er nicht die Formen der Verfassungsänderung gewinnt oder auf be-
sonderer Autorisation des betroffenen Einzelstaates beruht, nicht nur
staatsrechtlich ungültig, sondern auch völkerrechtlich unverbindlich '®.
14 Die Litteratur und Erörterung der Frage bei Proebst, Der Ab-
schlufs völkerrechtlicher Verträge — Annalen d. deutschen Reiches 1882, ins-
besondere $S. 264 ff. —. Dazu Hinsch, Das Recht d. deutschen Einzelstaaten
bezüglich des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge, Erlangen 1882, und
E. Seligmann, Abschlufs und Wirksamkeit der Staatsverträge 1890.
15 Gleicher Ansicht scheint Laband zu sein, wenn er I 639 sagt: „Der
Kaiser kann über Angelegenheiten, die der Kompetenz des Reiches über-
haupt nicht unterstellt sind, auch nicht durch internationale Verträge ver-
fügen“. Folgerichtig teilen diese Ansicht alle diejenigen, welche auch die
völkerrechtliche Gültigkeit der Staatsverträge von der Mitwirkung von Bun-
desrat und Reichstag abhängig machen.
16 Ein fremder Staat, der im Vertrauen auf die Aussage der Organe des
Reiches über ihre Kompetenz einen solchen Vertrag eingegangen ist, kann
auch völkerrechtlich nicht den Anspruch der Rechtsverbindlichkeit des Ver-
trages erheben, wohl aber ist er unter Umständen voll berechtigt, angemessene
Genugthuung für das fahrlässige oder arglistige Verhalten der Organe des
Reiches zu verlangen.