552 II. Buch. Die Reichsgewalt.
können rechtmälsig niemals eine auswärtige Thätigkeit entwickeln,
welche der verfassungsmälsigen auswärtigen Thätigkeit des Reiches
widerspricht oder auch nur derselben Eintrag thut; sie haben vielmehr
die Pflicht, soweit die auswärtige Kompetenz des Reiches reicht, sich
auch in dieser Rücksicht als der Gesamtheit eingeordnete und unter-
geordnete Glieder zu bewähren.
Daraus fliefst es, dafs kein Einzelstaat befugt ist, einem aus-
wärtigen Staate oder einer auswärtigen Regierung die völkerrechtliche
Anerkennung zu zollen oder zu verweigern, welche das Reich zubilligt
oder versagt. Folgeweise ferner ist es jedem Einzelstaat untersagt,
den diplomatischen Verkehr mit einer auswärtigen Macht fortzusetzen,
den das Reich abbricht. Es darf endlich und im allgemeinen der
Einzelstaat nicht Mafsregeln der Unfreundlichkeit oder Feindseligkeit,
Retorsionen oder Repressalien gegen einen auswärtigen Staat ergreifen,
gegen den das Reich freundliche und friedliche Beziehungen aufrecht
erhält. Denn in allen diesen Fällen würde sich das Verhalten des
Einzelstaates in Widerspruch setzen zu einem völkerrechtlichen Ver-
halten des Reiches als Gesamtmacht, obgleich das Reich verfassungs-
mälsig berufen ist, dieses Verhalten ausschliefslich zu bestimmen und
obgleich der Einzelstaat verfassungsmälsig in dieser Gesamtmacht als
Glied und: Faktor begriffen ist!®.
II. Diese Folgerungen gewinnen Verstärkung und Erweiterung
durch einen zweiten Gesichtspunkt, der unmittelbar in der Verfassung
begründet ist.
Das Reich ist mit voller Ausschliefslichkeit allein berechtigt über
die Machtmittel des Reiches, über Heer und Flotte zu verfügen, von
der Kriegsbedrohung durch Mobilisierung an bis zur Kriegserklärung
und endlich der Kriegsführung. Es kann verfassungsmälsig und
völkerrechtlich nur einen deutschen Krieg geben, niemals Kriegs-
bedrohung oder Krieg, sei es des Einzelstaates gegen das Ausland
oder des Auslandes gegen den Einzelstaat.
1. Daraus folgen zunächst Grenzen auf dem Gebiete der aus-
10 Auch sonst kann es geschehen, dafs die Einzelstaaten Rechte, die ihnen
an sich zustehen, im konkreten Fall und in Rücksicht auf das Reich nicht aus-
üben dürfen. Wenn z.B. der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag
vom 11. Juni 1873 bestimmt, dafs Persien nur 3 deutsche Konsuln zuläfst und
dagegen auch die persischen Konsuln in Deutschland auf die gleiche Zahl be-
schränkt, so darf kein Einzelstaat persische Konsuln empfangen, das Reich
mülste es denn ausdrücklich gestatten. Denn ohne diese einzelstaatliche Be-
schränkung würde das vom Reich stipulierte Gegenseitigkeitsverhältnis
illusorisch.