$ 92. Die völkerrechtliche Stellung der Einzelstaaten. 557
gewährenden Exterritorialität im Bereiche der Gerichtsbarkeit und der
Reichssteuern. von der Gesetzgebung des Reiches abhängig°®. Ins-
‚besondere mufs auch behauptet werden, dafs der Einzelstaat den von
ihm empfangenen Konsuln keine gröfseren Befugnisse und Freiheiten
einräumen darf, als diejenigen sind, die das Reich kraft Gesetzes oder
Vertrages den von ihm selbst empfangenen Konsuln desselben Staates
einräumt ?!. |
2. Auch das Vertragsrecht der Einzelstaaten ist dahin ein-
geschränkt, dafs dasselbe nur für solche Gegenstände der der Kompe-
tenz der Einzelstaaten anheimfallenden inneren Verwaltung Platz greift,
bei welchen ein übereinstimmendes Interesse mit einem auswärtigen
Staate zu einer übereinstimmenden Regelung Anlafs giebt. Doch
lassen sich die Grenzen nur negativ ziehen, wie folgt:
a. Jeder Vertrag des Einzelstaates ist nichtig, der entweder einer
bestehenden kompetenzmälsigen Anordnung des Reiches in Gesetz,
Verordnung oder Vertrag widerspricht oder auf einem Gebiete er-
richtet wird, auf dem dem Reiche eine ausschliefsliche Kompetenz zu-
geschrieben ist.
b. Jeder Vertrag über solche Gegenstände, deren Regelung der
Kompetenz des Reiches zwar unterliegt, aber bis zur Ausübung der-
selben den Einzelstaaten gestattet bleibt, kann eine Wirksamkeit nur
haben vorbehaltlich aller Kompetenzen des Reiches. Er kann daher
Geltung nur haben bis zur aktuellen Ausübung der Kompetenz des
Reiches behufs anderweitiger Regelung und er vermag das Recht der
Beaufsichtigung des Reiches nicht zu hemmen ’°°.
20 Quartierleistungsgesetz vom 25. Juni 1868 $4 No.2. Naturalleistungs-
gesetz vom 13. Februar 1875 $ 3 No. 2; insbesondere aber Gerichtsverfassungs-
gesetz aa. 183—21. Hieraus ergiebt sich, dafs die Chefs und Mitglieder der
bei dem Reiche beglaubigten Missionen jeder inländischen Gerichtsbarkeit,
also auch der des Reichsgerichts entzogen sind; dagegen sind die Chefs und
Mitglieder der bei einem Einzelstaate beglaubigten Missionen nur der Gerichts-
barkeit dieses Staates nicht unterworfen, sie unterliegen also der Gerichts-
barkeit des Reiches da, wo das Reichsgericht in erster Instanz kompetent
ist, d.h. in den Fällen des Hoch- und Landesverrates gegen Kaiser und Reich.
21 Daher bestimmen die Konsularverträge des Reiches auch die Rechts-
stellung der von den Einzelstaaten empfangenen Konsuln und sie heben die
früheren Konsulatsverträge der Einzelstaaten mit dem betreffenden aus-
wärtigen Staate auf. Vgl. den Konsularvertrag mit Griechenland (1881) a. 29.
Der russische Konsularvertrag (8. Dez. 1874) betrachtet die Aufhebung der
partikularen Konsularverträge als selbstverständlich.
| 22 Es ist unrichtig, die Schranken des Vertragsrechtes noch enger zu
ziehen, als sich aus obigen negativen Sätzen ergiebt. Insbesondere ist nicht
zuzugeben, dafs durch Verträge, deren Gegenstand der Einzelstaatskompetenz