Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

558 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
Hieraus folgt insbesondere, dafs wie das Reich ?® so auch der Einzel- 
staat nicht befugt ist, einseitig durch Verträge das Gebiet zu ver- 
ändern, zu verengern oder zu erweitern. Denn soweit die Identität 
des Gebietes des Reiches und der Einzelstaaten reicht, ist jede Ver- 
änderung desselben zugleich eine Verfügung über die Hoheitsrechte 
des Reiches wie des Einzelstaates in ihrer territorialen Wirksamkeit. 
Es bedarf daher — abgesehen von Friedensverträgen — bei jeder 
Gebietsänderung korrespondierender Verträge des Einzelstaates und 
des Reiches, deren jeder in seiner Gültigkeit durch die Vorschriften 
je der betreffenden Verfassung bedingt ist und deren jeder nur mit der 
erwirkten Gültigkeit des andern in rechtliche Wirksamkeit treten kann **. 
unterliegt, auswärtigen Staaten das Recht zur Ausübung gewisser Befugnisse 
auf dem Territorium des Einzelstaates nicht eingeräumt werden könne. Laband, 
Staatsrecht I 186 ff. Proebst, Annalen 1882 S. 248. Denn die Gebietshoheit 
ist an sich kein selbständiges Hoheitsrecht, vielmehr nur die Summe der in 
der Staatsgewalt enthaltenen Hoheitsrechte in Rücksicht auf die territoriale 
Bestimmung ihrer Wirksamkeit. Daher hat das Reich im Verhältnis zu den 
Einzelstaaten nicht eine ausschliefsliche Gebietshoheit, sondern die Gebiets- 
hoheit des Reiches und der Einzelstaaten verhält sich genau so wie die 
inneren Kompetenzen des einen und des anderen Teiles. Daran ändert es 
auch nicht, dafs das Reich zum Schutze auch der den Einzelstaaten zustehen- 
den Gebietshoheit dem Auslande gegenüber berechtigt und verpflichtet ist. 
Es ist deshalb vollkommen zulässig, dafs der Einzelstaat einem auswärtigen 
Staate das Recht zur polizeilichen Nacheile bei Forst- und Feldfreveln ein- 
räumt oder zu Anlagen behufs Bewässerung oder Entwässerung oder zur Durch- 
führung einer Chaussee — selbstverständlich vorbehaltlich aller Kompetenzen 
des Reiches, insbesondere seiner Beaufsichtigung unter dem Gesichtspunkt der 
militärischen Sicherheit. — Ebenso ist es unrichtig zu behaupten, dafs der 
Einzelstaat keinen Vertrag mit einem auswärtigen Staat abschliefsen könne da, 
wo ein Gesetz des Reiches ergangen ist und dem Einzelstaat unter der Be- 
aufsichtigung des Reiches nur Vollziehungsrechte zustehen. Gorius in Hirths 
Annalen 1875 S. 545. Proebst ebenda, 1882 insbesondere S. 260. So haben 
trotz der Reichsgesetze über das litterarische Urheberrecht Bayern und 
Württemberg unbedenklich eigene Litterarkonventionen mit Italien im 
Jahre 1872 abgeschlossen. Staudinger, Sammlung von Staatsverträgen S. 172. 
Sie sind erst später durch die Litterarkonvention zwischen dem Reiche und 
Italien vom 20. Juni 1884 erledigt worden. 
23 Abgesehen selbstverständlich von Reichsland und Schutzgebiet. 
** Eine Zustimmung des Reiches zu Grenzverträgen der Einzelstaaten 
oder der Einzelstaaten zu Grenzverträgen des Reiches findet bei scharfer 
rechtlicher Analyse des Vorganges nicht statt. Denn, um bei dem ersten 
Falle zu bleiben, der Vertrag des Einzelstaates verfügt nur über die ihm für 
die Einzelstaatskompetenz zustehende Gebietshoheit, und das Reich stimmt 
nicht sowohl diesem zu, sondern es mufs seinerseits über die ihm für die 
Reichskompetenz zustehende Gebietshoheit verfügen. Beide Akte sind an sich 
verschiedene, selbständige Rechtsdispositionen, die jeder Teil für die ihm zu-
	        
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