$ 93. Die vrölkerrechtliche Vertretung d. Einzelstaaten durch das Reich. 559
IV. Die völkerrechtliche Vertretung der Einzelstaaten durch
das Reich.
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I. Mit den bisherigen Erörterungen ist die Stellung des Reiches
auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten nicht erschöpft;
vielmehr gestaltet sich diese Kompetenz des Reiches noch an einem
letzten Punkte in eigentümlicher Weise.
Wenn die Kompetenzen des Reiches durch die Verfassung be-
stimmt sind, so kann es regelmäfsig nicht den Beliebungen irgend
eines Einzelstaates und der Reichsregierung unterliegen, dals der
erstere auf die ihm verfassungsmälsig vorbehaltenen Kompetenzen zu
Gunsten einer Erweiterung der Reichskompetenz verzichte. Es bedarf zu
einer Verschiebung der Kompetenzen auch nur im Verhältnis zu einem
einzelnen Partikularstaat der Verfassungsänderung in den regelmälsigen
Formen.
Allein, wie die Verfassung an einzelnen. Punkten ausdrücklich
eine vertragsmälsige Beschränkung der Kompetenz der Einzelstaaten
gestattet, so darf es als eine allgemein gemachte und anerkannte
Voraussetzung behauptet werden, dals die Einzelstaaten berechtigt
sind, auf jede Geltendmachung der ihnen verbliebenen völkerrecht-
lichen Stellung zu verzichten. Zweifellos aber ist es, dafs mit dieser
Verzichtbarkeit und im Falle des Verzichtes das Reich nicht nur das
Recht, sondern auch die Pflicht gewinnt, die völkerrechtliche Ver-
tretung des Einzelstaates in ihrem gesamten Umfange, auch in dem
Gebiete der Specialinteressen, die sonst der eigenen völkerrechtlichen
Wahrnehmung des Einzelstaates anheimfallen, zu übernehmen.
Das hat ausdrücklich im bayerischen Schlufsprotokoll unter VIII
Bestätigung gefunden. Denn wenn hier der bayerischen Regierung
eine angemessene Vergütung auch in Erwägung des Umstandes zu-
gesagt ist, dals an denjenigen Orten, an welchen Bayern eigene Ge-
stehende Kompetenzsphäre vornimmt. Aber praktische Durchführbarkeit ge-
winnt jede von beiden Verfügungen nur unter der Bedingung je der anderen
Verfügung. Praktisch führt das allerdings zu der nämlichen äufseren Er-
scheinung, als ob jeder von beiden Teilen zu dem Akte des anderen seine
Zustimmung erteilen müfste. Übrigens hat das Reich ganz korrekt sich mit
der Zustimmung zu dem Vertrage des Einzelstaates nicht begnügt, sondern
im Falle der badisch-schweizerischen Grenzregulierung neben dem badischen
einen besonderen Vertrag mit der Schweiz geschlossen, in welchem es die
badische Grenzregulierung für das deutsche Reich als rechtsgültig anerkennt.
Reichsgesetzblatt 1879 S. 307.