8 93. Die völkerrechtliche Vertretung d. Einzelstaaten durch das Reich. 561
durch den Einzelstaat eine innere Pflicht desselben gegen das
Reich ist?.
Selbstverständlich ist es, dafs das Reich in dem einen wie in
dem anderen Falle an die Voraussetzungen gebunden ist welche, sei
es nur für die staatsrechtliche oder auch für die völkerrechtliche
Gültigkeit eines die partikularen Kompetenzen berührenden Vertrages
die Verfassung des Einzelstaates aufstell. Hier kann also für die
rechtliche Gültigkeit eines Vertrages des Reiches die Mitwirkung der
legislativen Faktoren des Einzelstaates in Frage kommen. —
II. Fassen wir hiernach das Ergebnis kurz zusammen.
Das deutsche Reich ist in seinen auswärtigen Angelegenheiten
eine in politischer Einheit verbundene Gesamtmacht, welcher alle
völkerrechtlichen Befugnisse im engeren Sinne und alle äulseren
Hoheitsrechte eines Einheitsstaates zu eigener unmittelbarer Verwaltung
zustehen und zwar für die grolsen Fragen des Krieges und des Friedens
und der europäischen Politik, für die Rechtsverhältnisse auf der hohen
See und für das Konsulatswesen im Auslande mit voller Ausschliefslich-
keit. Die Grenzen dieser seiner Kompetenz findet das Reich allein
da, wo die völkerrechtlichen Verhandlungen und Rechtsgeschäfte des
Friedensstandes zu einer Verfügung über die inneren, den Einzel-
staaten verfassungsmälsig vorbehaltenen Kompetenzen führen. Nur
innerhalb dieser Grenzen verbleibt den Einzelstaaten eine selbständige
völkerrechtliche Stellung und Thätigkeit.e. Aber auch diese ist eine
2 Diese Form haben die Verträge des deutschen Reiches dann gewählt,
wenn sie gleichzeitig die Kompetenz des Reiches (Recht der Beaufsichtigung
im Eisenbahnwesen, das Pafs-, Zoll-, Post-, Telegraphenwesen) und die parti-
kularen Kompetenzen des Einzelstaates berührten, mithin dem materiellen
Gehalte nach gleichzeitig ein deutscher und partikularer Vertrag zu schlie(sen
gewesen wäre. So sind lediglich im Namen des Reiches, aber materiell zu-
gleich für Preufsen geschlossen die Eisenbahnverträge mit Rufsland (Reichs-
gesetzblatt 1872 S. 23, 1876 S. 172), mit Österreich (ebenda 1862 $. 353. 362,
1877 S. 145, 1885 S. 198), mit den Niederlanden (ebenda 1872 8. 39, 1875 S..112.
120. 123, 1877 S. 397) und der Kanalvertrag mit den Niederlanden (ebenda
1877 S. 539), sowie materiell zugleich für Oldenburg der Eisenbahnvertrag
mit den Niederlanden (ebenda 1875 S. 101. Nur aus dem nämlichen Gesichts-
punkte der Vertretung der Einzelstaaten bei konkurrierender Kompetenz des
Reiches läfst sich der Abschlufs der internationalen Reblauskonventionen
vom 17. September 1878 (Reichsgesetzblatt 1880 S. 15) und vom 3. November
1881 (ebenda 1882 S. 125) lediglich durch das Reich rechtfertigen. Denn die
Konvention berührt die Kompetenz des Reiches nur in Rücksicht auf die
stipulierten Verkehrsbeschränkungen und Zollbehandlungen der Reben, im
übrigen fällt sie in Rücksicht auf die Überwachungs- und Vertilgungsmafs-
regeln zweifellos in die Kompetenz der Einzelstaaten.
Binding, Handbuch. Y. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 36