Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 96. Die zwischenstaatliche Friedensbewahrung. 575 
schiedenen Arten der Staatenstreitigkeiten trifft, haben nicht die Trag- 
weite, dals die Erledigung irgend einer Art derselben durch die Ver- 
fassung nicht vorgesehen sei. Sie beziehen sich vielmehr lediglich auf 
die Instanzen, welche nach Mafsgabe der Verfassung zur Erledigung 
der konkreten Streitigkeit berufen sind. 
III. Als durchgreifende Regel ordnet die Verfassung die Erledigung 
der Staatenstreitigkeiten durch die Organe des Reiches selbst 
und zwar durch den Bundesrat an. 
Für die Art und Weise dieser Erledigung ist keinerlei nähere 
Bestimmung gegeben. Die Ermächtigung des Bundesrates ist dem 
Wortlaut und der Absicht nach eine ganz allgemeine. 
Der Bundesrat ist daher berechtigt, seine Vermittlung unter den 
streitenden Teilen eintreten zu lassen, um eine gütliche Einigung sei 
es in der Sache selbst, sei es durch einen Kompromils herbeizuführen. 
Der Bundesrat ist nicht minder berufen, sei es nach dem Scheitern 
der Vermittlung, sei es nach Lage des Falles, ohne weiteres die 
Streitigkeit durch einen Beschluls, der einen Rechtsspruch zum Inhalte 
hat, zur Erledigung zu bringen. Aber er ist alsdann gebunden an 
alle diejenigen Formen, welche die Verfassung und die Geschäftsord- 
nung für jeden gültigen Beschlufs vorschreiben; er ist daher ins- 
besondere nicht berechtigt, die Stimmenthaltung der beteiligten Einzel- 
staaten zu fordern. 
Der Bundesrat ist endlich ermächtigt, eine geeignete Instanz, mag 
dieselbe für den einzelnen Fall gebildet werden oder mag sie eine 
ständige bestehende Behörde sein, mit dem Rechtsspruche, der kraft 
seiner Autorität und in seinem Namen ergeht, zu betrauen®. 
Je weiter alle diese Ermächtigungen gezogen sind, je mehr alle 
näheren Vorschriften für das Verfahren und für die entscheidende In- 
stanz fehlen, um so weniger kann es einem Zweifel unterliegen, dafs 
durch R.V. a. 78 al. 1 für das Reich die Kompetenz begründet wird, 
im Wege der Gesetzgebung diejenigen näheren Bestimmungen zu treffen, 
welche erforderlich sein können, um die „Erledigung“, der Natur eines 
3 Gerade auf eine solche „Austrägalinstanz“ geht nach der Erklärung 
des Bundeskommissars im konstituierenden Reichstag (Sten. Ber. S. 665) die 
vorzugsweise Absicht. Allein die Erklärung reicht gegenüber dem Wortlaut 
der Verfassung und auch nach bestehender Praxis nicht aus, um die Auffassung 
Seydels — Kommentar S. 254 — und v. Rönnes — Staatsrecht d. deut- 
schen Reiches I 218 — zu rechtfertigen, dafs nur dieser Weg, nicht auch die 
eigene unmittelbare Entscheidung des Bundesrates, zulässig sei. Einen Haupt- 
fall der Entscheidung durch „Schiedsgericht“ bildet der Streit zwischen Preufsen 
und Sachsen in der Berlin-Dresdener Eisenbahnsache (1377). Vgl. Wächter, 
Die Entscheidungsgründe zu dem Schiedsspruche etc. Leipzig 1877.
	        
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