Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 98. Das Indigenat. 591 
II. In dieser seiner Bedeutung findet das Indigenat eine um- 
fassende Anwendung, welche nur begrenzt ist durch die zwei in der 
Verfassung ausdrücklich gemachten Ausnahmen. 
Die erste Ausnahme betrifft diejenigen Partikulargesetze, welche die 
Angehöriekeit zu dem lokalen Gemeindeverband nicht unmittel- 
bar an gesetzliche Merkmale knüpfen, sondern von einer „Aufnahme“ 
abhängig machen. Diese Aufnahme konnte nach R.V.a.3 al. 3 trotz 
des Indigenates von dem Erfordernis der Staatsangehörigkeit abhängie 
bleiben mit der weitgreifenden Folge, dafs damit auch alle übrigen 
Rechte, welche das Partikulargesetz durch die Gemeindeangehöriekeit 
bedingt sein liefs, mochten sie den festen Wohnsitz, den Gewerbe- 
betrieb, den Grundstückserwerb, staatsbürgerliche oder bürgerliche 
Verhältnisse betreffen, nach wie vor und bis zum Eingreifen kompe- 
tenter Reichsgesetze von der Staatsangehörigkeit abhängig blieben !?. 
Die zweite Ausnahme gestattet es, die Verpflichtung zur Armen- 
versorgung auf die Angehörigen des eigenen Staates zu beschränken. 
Sie brachte selbstverständlich, aber durch R.V. a. 3 al. 4 ausdrück- 
lich bestätigt, die Aufrechterhaltung der Verträge mit sich, „welche 
zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Über- 
nahme von Auszuweisenden, die Verpflegung erkrankter und die Be- 
erdigung verstorbener Staatsangehörigen bestehen“. Sie ist für den 
Geltungsbereich des Reichsgesetzes über den Unterstützungswohnsitz 
vom 6. Juni 1870 erledigt und findet daher nur noch zur Zeit auf 
Elsals- Lothringen, dauernd aber wegen seiner verfassungsmälsigen 
ist der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate 
so berechtigt, als wenn er Eingeborener desselben wäre. — Es giebt von der 
Publikation dieser Verfassung ab im ganzen norddeutschen Bunde nur ein 
Indigenat. Alle dem widersprechenden Bestimmungen der einzelnen Landes- 
gesetzgebungen sind aufzuheben.“ Hiernach sollte es überhaupt keine be- 
sondere Staatsangehörigkeit mehr geben; die besonderen Rechte und Pflichten 
der Unterthanen im Verhältnis zu den einzelnen Staaten konnten alsdann nicht 
mehr an eine partikulare Staatsangehörigkeit, sondern nur noch an die That- 
sache des Wohnsitzes oder Aufenthaltes der Bundesangehörigen im Territorium 
des Einzelstaates geknüpft werden — in ähnlicher Weise wie in den Vereinigten 
Staaten von Amerika. Für dieses Verhältnis war der Ausdruck „Indigenat“ 
vollkommen zutreffend; jetzt, nachdem der auf Einspruch der verbündeten 
Regierungen abgeänderte Verfassungstext einen vom preufsischen Entwurf 
vollständig verschiedenen Inhalt gewonnen hat, ist er mifsverständlich und ist 
mifsverstanden worden. 
13 Erst das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867 hat Aufenthalt, 
Niederlassung, Gewerbebetrieb, Grundeigentumserwerb von der Gemeinde- 
angehörigkeit schlechthin unabhängig gestellt.
	        
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